«Dieser Krieg beseitigt das Elend nicht»

Streitgespräch mit Nationalrat Andreas Gross in der Weltwoche vom 15. April 1999

Wie weiter im Kosovo-Konflikt? Militärkritiker Andreas Gross (SP) begrüsst das Nato-Bombardement, Oberst Christoph Blocher (SVP) ist dagegen.

Gespräch: Martin Furrer und Martin A. Senn

Irritiert nehmen wir zur Kenntnis, dass der Pazifist Andreas Gross den Krieg der Nato gegen Serbien befürwortet, während Oberst Christoph Blocher ihn ablehnt.

Andreas Gross: Mich einen Befürworter des Nato-Krieges zu nennen wäre zu dick aufgetragen. Es gibt berechtigte Argumente für diese militärische Intervention. Sie ist völkerrechtlich zwar illegal, aber legitim.

Legitim?

Gross: Ja. Zehn Jahre lang hat der Westen auf dem Balkan Fehler gemacht und viele Zeichen ignoriert. Jetzt blieb keine andere Möglichkeit mehr, als zwischen zwei Übeln zu wählen, nämlich den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic gewähren zu lassen oder alles zu tun, um das Massaker an der kosovo-albanischen Bevölkerung selbst mit Gewalt zu verhindern. Die Intervention der Nato, das ist für einen Pazifisten eine so grausame wie wahre Erkenntnis, ist nötig.

Christoph Blocher: Einen Krieg zu führen, um Völkermord zu verhindern, ist ein berechtigtes Motiv. Nur muss man das Ziel auch erreichen. Die Nato will dem Westen weismachen, sie könne diesen Krieg ohne eigene Verluste führen. Es kommt mir vor, als würde dort Krieg als Computerspiel betrieben. Hier wollen Politiker ihr Gesicht wahren. Ich höre, dass die amerikanischen Militärs den Politikern von einer Bombardierung Serbiens abgeraten hatten. Zu Recht. Krieg darf nur führen, wer ein klares Ziel hat und bereit ist, das Leben zu opfern. Sonst muss man es unterlassen. Beides kann ich auf Nato-Seite nicht erkennen. Wenn Sie, Herr Gross, behaupten, dieser Krieg sei gerechtfertigt, wissen Sie nicht, was Sie sagen.

Würden Sie als Regimentskommandant, Herr Blocher, den Einsatz von Bodentruppen befürworten?

Blocher: Dieser Krieg lässt sich ohne Bodentruppen nicht gewinnen. Aber die Nato-Staaten sind nicht bereit, Opfer zu bringen. Ich habe dafür Verständnis. Dieser Krieg beseitigt das Elend nicht, das er bekämpfen will. Die Nato-Bomben haben das Flüchtlingschaos vergrössert, ohne Aussicht auf Besserung.

Das Sagen haben die Militärs. Wie könnte das Politische wieder die Oberhand gewinnen?

Blocher: Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ob Krieg geführt wird, müssen die Politiker bestimmen, und sie haben es auch getan.

Gross: Das eigentliche Problem ist aber, dass gigantische politische Fehlleistungen vor zehn Jahren die jetzige Situation geschaffen haben. So hat der Westen unterschätzt, dass die ethnischen Säuberungen von Anfang an das Hauptziel Milosevics gewesen sind. Die Vertreibung der Kosovo-Albaner hat schon vor dem Nato-Einsatz eingesetzt. Tragisch ist, dass die Kosovo-Albaner, die jahrelang eine gewaltlose Strategie eingeschlagen hatten, von der internationalen Völkergemeinschaft nicht ernst genug genommen wurden. Noch im Dayton-Abkommen war das Kosovo bloss ein Pfand, das man Milosevic überlassen konnte.

Blocher: Für die aktuelle Situation spielt die Frage, was man früher hätte besser machen sollen, keine Rolle. Es ist von den Tatsachen auszugehen.

Gross: Doch, für die Beantwortung der Frage, ob und warum die Politik abgedankt habe, ist das wichtig.

Blocher: Ich meine auch nicht, dass die Politik abgedankt hat. Tragisch ist aber, dass es letztendlich der Nato nur noch darum geht, das Ansehen zu wahren. Um so mehr erstaunt mich, dass der einstige Armeeabschaffer Gross jetzt dem Krieg applaudiert.

Gross: Von Applaus kann keine Rede sein, höchstens von bitterem Realismus. Ich will im Gegensatz zu Herrn Blocher nicht den kleinen Feldherrn spielen, der aus der sicheren Schweiz heraus der Welt erklärt, was zu tun sei.

Blocher: Das ist ein billiger Vorwurf. Auch Sie kritisieren ja die anderen.

Gross: Ich sage nur meine Meinung.

Blocher: Ich auch. Sie sprechen von Fehlern, die 1989 gemacht worden seien. Sie scheinen vieles besser zu wissen.

Gross: Wenn wir über die Legitimität dieses Krieges sprechen, müssen wir die Frage nach der Verhältnismässigkeit des Vorgehens stellen. Die Gefahr, dass dieser Krieg eskaliert, ist sehr gross. Man sollte darum auch dem Gegner immer wieder die Chance geben, einen Waffenstillstand schliessen zu können. Sie übersehen, Herr Blocher, dass es beim Krieg auf dem Balkan auch um den fundamentalen Selbstwert der europäischen Kultur geht: Die Muslime gehören zu Europa, es ist die Aufgabe Europas zu verhindern, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben werden. Zweitens muss Europa Russland helfen, seine Rolle als Brückenbauer in diesem Konflikt spielen zu können.

Blocher: Dieser Konflikt darf nicht zu einem Dritten Weltkrieg eskalieren. Entweder man führt ihn mit klarem Ziel und unter grossen Opfern, oder man lässt die Finger davon. Ob ein Waffenstillstand jetzt richtig ist, weiss ich nicht. Vielleicht.

Für Sie, Herr Blocher, ist der Genozid im Kosovo kein Interventionsgrund?

Blocher: Doch, aber nur, wenn weitere Gewalt damit verhindert wird. Durch die Luftangriffe wird das Elend noch vergrössert…

Gross: …nein, auf keinen Fall. Das ist eine Ignorierung und Verharmlosung dessen, was vorher war…

Blocher: …doch, im Moment richten sie mehr Schaden an als Nutzen. Übrigens gilt es zu bedenken, dass in der Vergangenheit auch die Serben Opfer von ethnischen Säuberungen geworden sind. Beide Seiten haben Grausamkeiten begangen.

Gross: Europa hat sich zu rasch der Logik der ethnischen Säuberungen unterworfen. Die Schweiz und Deutschland haben Kroatien und Slowenien zu schnell anerkannt. Man hat zu lange mit Milosevic verhandelt, die Schweiz hat die serbischen Oppositionellen zuwenig unterstützt. Jetzt eint die militärische Intervention Serbien.

Die Schweiz leistet humanitäre Hilfe vor Ort und wartet auf die Flüchtlinge. Auch sie ist ohnmächtig.

Gross: Es gibt immer wieder Situationen im Leben, wo man zur eigenen Ohnmacht stehen muss. Verheerend an der militärischen Logik ist, dass sie vorgibt, die Ohnmacht sofort überwinden zu können.

Blocher: Aktivismus muss oft die Tatsache verdecken, dass jemand machtlos ist. Als Unternehmer muss ich manchmal auch auf Aktivitäten verzichten, weil die Kräfte dazu fehlen.

Gross: Europa kann in seiner Südosteuropa-Politik nicht zehn Jahre lang Fehler begehen und meinen, diese im elften vergessen machen zu können.

Unter Aussenminister Flavio Cotti wollte sich die Schweiz vermehrt aussenpolitisch engagieren.

Blocher: Engagement als solches sagt noch gar nichts. Es gibt gescheites und dummes Engagement. Aktivität als solche kann kein Ziel sein.

Bundesrat Adolf Ogi hat gesagt: Wir müssen zur Krise gehen, sonst kommt die Krise zu uns. Das leuchtet doch ein.

Blocher:
Das sind Werbesprüche für den Einsatz bewaffneter Truppen im Ausland. In Tat und Wahrheit müsste der Satz lauten: Gehen wir zur Krise, dann haben wir sie auch bei uns. Der Schweiz ist es gelungen, dank ihrer bewaffneten Neutralität den Krieg während zweihundert Jahren von ihrem Territorium abzuwehren. Wenn ich sehe, wie leichtfertig gewisse Militärs heute den Gegner ausserhalb der eigenen Grenzen schlagen wollen, verwundert mich das darum sehr.

Gross: Adolf Ogi hat wie meist das Herz auf dem rechten Fleck. Aber manchmal greift er in seinen Aussagen zu kurz. Die Schweiz muss künftig Krisen verhindern helfen. Sollten sie nicht zu verhindern sein, muss sie wenigstens mithelfen, deren Konsequenzen zu lindern. Das heisst Engagement vor Ort und Solidarität in der Flüchtlingspolitik.

Blocher: Gegen Flüchtlingspolitik hat niemand etwas einzuwenden. Gerade für einen neutralen Staat würde sich hier ein offenes Feld ergeben. Dadurch könnte viel zur Konfliktverminderung beigetragen werden. Doch der Bundesrat hat, indem er den Einsatz der Nato gegen Serbien unnötigerweise offiziell begrüsst hat, leider viel Goodwill verspielt. Wer in einem Krieg Stellung nimmt, ist Partei!

Wie könnte die Schweiz ihrer Rolle gerecht werden? Sie ist als Vermittlerin gerade in diesem Konflikt nicht gefragt.

Blocher: Woher wissen Sie das? Die Schweiz kann Lager für Kriegsflüchtlinge errichten…

Gross: …Lager? Die Unterbringung bei Verwandten ist viel sinnvoller…

Blocher: …und diese Lager baut man am besten vor Ort. Nur für den Neutralen ist Hilfe auf beiden Seiten möglich. Es gibt ja fast nur noch parteiische Staaten. An sich wäre ja die Uno zuständig, doch im Uno-Sicherheitsrat wäre der Truppeneinsatz durch ein Veto Russlands und Chinas verhindert worden. In dieser Situation sollte der Kleinstaat Schweiz nicht auch noch Partei nehmen und mit einem Nato-Beitritt liebäugeln.

Gross: Wenn Herr Blocher und ich übereinstimmend feststellen, die Schweiz sei ohnmächtig, so deshalb, weil wir beide nicht so anmassend sind zu glauben, das Desaster auf dem Balkan hätten wir als Schweizer verhindern können.

Kann die Schweiz zur Verhinderung künftiger Konflikte etwas beitragen?

Gross: Ja, indem sie es gemeinsam mit allen anderen versucht in der Uno, der EU, mit der OSZE, sogar in Absprache mit der Nato. Jetzt stellt sich die Frage: Was können wir tun, damit ein Waffenstillstand zustande kommt?

Und?

Gross: Die Schweiz ist zwar nicht mehr so archaisch neutral, wie das Herr Blocher gerne hätte, aber auch nicht direkt Partei. Unter der Obhut von Russland, Österreich, Schweden oder der Schweiz könnte eine Konferenz zur längerfristigen Befriedung der Völker auf dem Balkan und zur Festigung der Grenzen aufgebaut werden, so wie das die KSZE 1973 in Helsinki versucht hat. Und die Schweiz könnte sich an einer Schutztruppe für den Kosovo unter Obhut der Uno beteiligen.

Bewaffnet oder unbewaffnet?

Gross: Ohne Bewaffnung zur Selbstverteidigung wäre diese Beteiligung entweder verantwortungslos, oder wir würden die Drecksarbeit andere machen lassen.

Blocher: Hört, hört!

Gross: Darüber hinaus müsste sich die Schweiz an einer Art Marshall-Plan für Osteuropa inklusive Russland beteiligen. Es braucht überall zivile ökonomische Investitionen; die Schweiz kann ihren Beitrag dazu leisten.

Blocher: Ich habe nichts gegen Marshall-Pläne, das heisst einen Aufbau der Wirtschaft mittels Darlehen im Kosovo. Doch das kommt nach dem Krieg.

Der Bundesrat hat drei Superpuma mit bewaffnetem Personal zum Selbstschutz ins Krisengebiet geschickt.

Blocher: Selbstverständlich habe ich nichts gegen Superpumas einzuwenden, doch die Frage ist, was sie nützen.

Gross: Woher soll man wissen, dass etwas Nutzen bringt, bevor man es gewagt hat?

Blocher: Ich glaube, ein Grosseinsatz der Schweiz beim Bau von Flüchtlingslagern bringt mehr für die Menschen als alles andere. Wenn der Bundesrat die Superpuma-Besatzung zur Selbstverteidigung bewaffnet, hat er das Wesen des Krieges nicht begriffen. Gegen den Einsatz von unbewaffneten Einheiten habe ich nichts. Bewaffnete Truppen ins Ausland zu schicken heisst aber, sich früher oder später in den Krieg zu verstricken. Humanitäre Hilfe kombiniert mit militärischer Intervention ist unvereinbar.

Herr Gross, Sie werden nächste Woche als einziger Schweizer Parlamentarier zum 50-Jahr-Jubiläum der Nato nach Washington reisen. Sind Sie für den Nato-Beitritt der Schweiz?

Gross: Sicher nicht. Die amerikanische Regierung hat mich vor drei Monaten als engagierten Politiker eines Mitgliedstaates der Nato-Partnerschaft für den Frieden eingeladen. Es geht darum, anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens kritisch über die Nato nachzudenken.

Blocher: Kritisch nachdenken? Sie sind doch blauäugig, Herr Gross. Die Nato, das ist heute Amerika. Es ist verständlich, dass Amerika die Schweiz in der Nato haben möchte. Militärisch wird die Nato von den USA bestimmt.

Gross: Unsinn. Die Amerikaner schätzen kritisches Denken und den Widerspruch manchmal sogar noch mehr als gewisse Schweizer.

Herr Blocher, Sie betonen, ein neutraler Staat dürfe sich aussenpolitisch nicht einmischen. Unsere europäischen Nachbarn bringen jedoch Opfer, während die Schweiz Symptombekämpfung betreibt.

Blocher:
Die Schweiz hat mit ihrer Armee Gewaltanwendung von aussen zu verhindern. Die Nato-Staaten wollen das gleiche für sich, aber in der Nato. Ich habe Respekt davor, wenn die Amerikaner neben der Verteidigung ihrer eigenen Interessen auch das Unrecht der Welt bekämpfen. Doch das geschieht ja derzeit auf dem Balkan nicht, im Gegenteil: Die Bombardierung erzeugt erst recht menschliches Leid.

Einzig der Uno-Sicherheitsrat hätte Amerikas Interventionsdrang zurückbinden können. Was haben Sie also gegen die Uno als völkerrechtliches Regulativ?

Blocher: Die Uno, das beweist der Kosovo-Konflikt, kann solche Probleme eben gerade nicht lösen. Der Uno-Sicherheitsrat hätte nein gesagt. Streng genommen ist das Vorgehen der Nato völkerrechtlich gesehen illegal…

Gross: …einverstanden…

Blocher: …und zweitens handeln die Vereinigten Staaten nur über die Uno, wenn sie damit – wie im Irak-Krieg – Aussicht auf Erfolg haben, und sie operieren via Nato, wenn ihnen das gelegener kommt.

Eben gerade deshalb muss die Schweiz doch ein Interesse an völkerrechtlichen Mechanismen haben, mit denen eine Weltmacht rechtlich in die Schranken gewiesen werden kann.

Blocher: Ich habe nichts gegen solche Mechanismen, aber man hüte sich vor Illusionen.

Gross: Uno-Generalsekretär Kofi Annan ist sich seiner Machtlosigkeit bewusst und zeigte trotzdem Verständnis für das Vorgehen der Nato. Bei Ihnen, Herr Blocher, spüre ich einen Grundpessimismus; Sie haben wohl wenig Glauben daran, dass sich die Welt zum Besseren entwickelt. Ich bin überzeugt, dass es sogar im Interesse der Vereinigten Staaten ist, wenn die Uno wieder die Rolle spielen kann, die jetzt Amerika zum Teil übernommen hat. Uno und Völkerrecht werden sich gerade wegen des Jugoslawien-Krieges weiterentwickeln.

Blocher: Dass die Welt immer besser werde, Herr Gross, ist leider blauäugiger Idealismus. Es ist eine Tatsache, dass China im Uno-Sicherheitsrat ebenso ein Vetorecht hat wie Russland, England oder Frankreich. Auch Grossmächte wollen ihre Interessen wahren. Das ist Realität. Die Uno ist keine gemeinnützige Gesellschaft.

Gross: Doch, das ist sie, und sie kann es noch weit mehr werden.

Blocher: Sie ist es zumindest nicht nur. Auch dort wird Interessenpolitik betrieben unter dem Deckmantel schöner Erklärungen für den Weltfrieden.

Herr Blocher, eine Rückkehr der vertriebenen Kosovo-Albaner ist nur unter dem Schutz einer bewaffneten internationalen Truppe möglich. Wenn sich die Schweiz an solchen Operationen beteiligen will, ist das dann für Sie eine Teilnahme an einem kriegerischen Konflikt?

Blocher: Ja, und wir sind fast schon soweit.

Gross: Nein, nein.

Blocher: Doch. Wer bewaffnete Truppen, unter welchem Vorzeichen auch immer, ins Ausland schickt, läuft Gefahr, in den militärischen Konflikt hineingezogen zu werden. Wer etwas anderes behauptet, beschönigt.

Gross: Entscheidend ist doch die Frage der Autonomie. Diese gibt es nur in einer Demokratie. Gegen eine Demokratie militärisch zu intervenieren wäre unzulässig. Milosevic aber ist ein Diktator und Kosovo keine autonome Republik mehr. Künftig wird es darum gehen, nicht nur ein im alten Rahmen autonomes, sondern ein eigenständiges, neues Kosovo aufzubauen. Das wäre eine Aufgabe für die neue KSZE-Konferenz für Südosteuropa. Wenn die Kosovo-Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren sollen, geht das nicht ohne die Obhut bewaffneter Schutztruppen. Daran muss sich die Schweiz auch beteiligen.

Blocher: Würde die Schweiz da mitmachen, müsste sie sich sofort einem der Machtblöcke anschliessen. Es geht darum, wer die „bewaffnete Autonomie“ im Gebiet Kosovo-Albanien wahren soll.

Gross: Milosevic ist kein Machtblock, sondern ein Kriegsverbrecher. Es geht doch um die Frage, wer in Zukunft die Rolle des Weltpolizisten spielen soll. Die Amerikaner? Das wünschen Sie und ich nicht. Nur die Uno kann diese Rolle übernehmen.

Blocher: Soll in dieser Welt tatsächlich jemand die Rolle des Weltpolizisten spielen? Der Weltpolizist hat keine Kontrolle über sich, und das ist gefährlich.

Gross: Die Uno wird in den nächsten Jahren ihr Gesicht verändern. Sie gehen ein Risiko ein, Herr Blocher, das Sie als Unternehmer nie wagen würden, nämlich trotz veränderter Rahmenbedingungen zu lange an Vergangenem festzuhalten, bloss weil es sich bewährt hat. Sie laufen Gefahr zu übersehen, dass sich vielleicht die Umstände derart verändert haben, dass auch aus Bewährtem ein Irrtum wird.

Blocher: Ich halte nicht aus Tradition an bewaffneter Neutralität fest, sondern weil sie immer wichtiger wird. Nicht der Beweis, sondern ein Indiz für ihre Richtigkeit ist, dass sie sich zweihundert Jahre lang bewährt hat.

Gross: Die grösste Herausforderung ist es, im Erfolg zu lernen. Die Schweiz war vielleicht bis zum Zweiten Weltkrieg ein Erfolgsmodell. Doch dann hat sie zu lange stagniert.

Blocher: In Frage stellen darf man immer, aber ändern um der Änderung willen, das nicht.

Gross: Richtig. Aber wenn man der Politik ihre Gestaltungsmacht zurückgeben will, muss man sie supranational neu verankern. Ich frage Sie, Herr Blocher: Ist es Ihnen egal, wenn die Politik weiter Macht verliert?

Blocher: Politik als Abstraktum sagt mir gar nichts.

Gross: Ich verstehe darunter gesellschaftliche Handlungsmacht. Politik ist Ausdruck der Macht einer Mehrheit von Menschen, das Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Blocher: Daran glaube ich nicht. Ein Staat braucht immer auch eine Gewaltenkontrolle. Wenn die Welt von einer Weltregierung beherrscht wird, ist Gewaltenkontrolle ausgeschlossen, am Schluss befiehlt nämlich der Stärkere. Das macht mir angst.

Gross: Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Blocher, traue ich den Menschen Lernfähigkeit zu. Sie sind ein abgrundtiefer Pessimist. Herr Blocher, die SVP lanciert demnächst eine neue Asylinitiative. Wollen Sie stattdessen nicht lieber eine Nato-Beitrittsinitiative lancieren, um krisenpräventiv agieren zu können?

Blocher: Denken Sie, ich hätte über Nacht meinen gesunden Menschenverstand verloren? Es ist nötig, den Asylrechtsmissbrauch zu unterbinden. Aber auch die Neutralität zu wahren und der Nato nicht beizutreten.

Herr Gross, sind Sie noch immer ein Pazifist?

Gross: Ja, gewiss. Pazifist sein heisst, Gewalt zu verhindern, und wenn man dabei scheitern sollte, mit möglichst wenig Gewalt auszukommen.

Blocher: Das ist eine ganz neue Definition von Pazifismus. Dann bin ich schon lange Pazifist, denn für uns war die Armee nie etwas anderes als das letzte Mittel.

Gross: Umso besser.

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