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03.04.2004

«Um zu loben, bin ich zu gut bezahlt»

Bundesrat Christoph Blocher sieht sich nach 100 Tagen im Amt in seinen Meinungen bestätigt. Darum kämpft er auch in der Regierung für weniger Staat im Staat. 03.04.2004, Neue Luzerner Zeitung (Jürg auf der Maur) Sie sind seit rund 100 Tagen im Bundesrat. Wurden Sie öfter überstimmt, als Sie erwarteten? Christoph Blocher: Ich stelle jedenfalls fest, dass es kein Klima persönlicher Aversion oder Obstruktion gegen mich gibt. Man sagt nicht, alles, was von Blocher kommt, wird abgelehnt. Es wird diskutiert und ich hatte mit mehr Geschäften Erfolg als ich vor meiner Wahl eigentlich erwartete. Über einzelne Bundesräte rede ich nicht. Wenn ich ein Anliegen habe, dann diskutiere ich das direkt mit den Betreffenden. Das ist ja der Vorteil, wenn man im Bundesrat ist. Was konnten Sie im Bundesrat bewirken? Darüber rede ich nicht. Es ist ja auch vertraulich und geheim. Es ist nicht so wichtig, wenn es heisst, der Blocher wurde überstimmt oder hat verloren. Sie suchen den Konflikt und die Provokation. Beispielsweise als Sie beantragten, dem Tourismus nur noch einen Franken zur Verfügung zu stellen. Ich mache nichts zum Spiel. Der Tourismuskredit ist ein gutes Beispiel. Seit Jahren zahlt der Bund Millionen. Ich bin der Meinung, dass das nichts bringt, sondern sogar eher schädlich ist. Mit meinem Antrag wollte ich einen Denkanstoss machen. Null Franken konnte ich nicht vorschlagen, weil der Tourismus gesetzlich Anspruch auf Bundesmittel hat. Hätte ich Null Franken beantragt, hätte man mir vorgeworfen, dass die Idee gar nicht legal sei. Was haben Sie nun erreicht? Ich wollte, dass man die ganze Wirtschaftsförderung einmal von der anderen Seite her betrachtet. Man musste im Bundesrat über den Sinn und den Unsinn einer solcher Förderung reden. Mir war klar, dass ich keine Mehrheit hinter mich bringe. Ich wollte den Bundesrat herausfordern. Das ist sinnvoll und hat eine viel grössere Wirkung, als man meint. Wenn man schon das Falsche macht, dann ist es immer noch besser, wenn man es mit einem schlechten statt mit gutem Gewissen macht. Die NZZ schreibt, die SVP oder die Auns hätten einen grossen Einfluss auf ihre Arbeit. Ich schreibe die wichtigen Anträge selber, vor allem dann, wenn es um grössere Weichenstellungen geht. Andere Geschäfte delegiere ich ins Amt. Weder die Partei noch die Auns haben Einfluss. Sie zeichnen ein tristes Bild der Schweiz. Ist das Schwarzmalerei? Ich wurde im Dezember in den Bundesrat gewählt als Politiker mit klaren Grundhaltungen und Positionen. Ich habe damals gesagt, dass ich mich nach bestem Wissen und Gewissen einsetzen und in den Bundesrat einbringen will. Ich war schon damals der Ansicht, dass es dringend Korrekturen braucht. Was heisst das konkret? Nur einige Stichworte: Es gibt grosse Fehlentwicklungen, etwa die Schuldenwirtschaft, die grossen Defizite des Bundes und der öffentlichen Hand oder die abnehmende Sicherheit für die Bevölkerung. Sie fordern öffentliche Bundesratssitzungen. Was tun sie dafür? Ich werde diese Idee sicher nicht in den Bundesrat tragen. Ich gehe auch nicht davon aus, dass die Anregung im Parlament aufgenommen wird. Sie hat nämlich keine Chance. Trotzdem fordern Sie das? Nach drei Monaten im Bundesrat muss ich einfach feststellen, dass die Bürger über den eigenen Staat und die Regierungstätigkeit schlecht und falsch informiert sind. Weshalb? Das hat weniger mit den Medien als vielmehr damit zu tun, dass die Regierungstätigkeit geheim ist. Daraus resultiert eine selektive Geheimhaltung. Es gibt doch Geschäfte, die der Bundesrat geheim besprechen können muss? Schon, aber das sind sicher nicht 90 Prozent der Geschäfte. Wollen Sie tatsächlich Bundesratssitzungen live am TV? Weshalb nicht? Es wäre wohl einfach so, dass nach zwei, drei Sendungen niemand mehr zuschauen würde. Aber das ist auch nicht die Frage. Es ist wichtiger, dass man eine Bundesratssitzung verfolgen darf, als dass man die Gelegenheit denn auch wirklich wahrnimmt. Gibt es auch positive Überraschungen, die Sie als Bundesrat erlebten? Ich habe keine Zeit, mich mit dem Positiven zu beschäftigen. Ich bin als Bundesrat gewählt worden, um Probleme zu lösen. Um Leute zu loben, bin ich zu gut bezahlt. Nur soviel: Die Leute in der Bundesverwaltung arbeiten gut. Sie sind bereit, das Beste zu machen. Das heisst aber nicht, dass ich nicht trotzdem der Meinung bin, dass der Staat und damit auch die Verwaltung schlanker werden müssen. Die SP kritisiert Sie als einen Bundesrat, der die meisten Vorlagen konsequent abweist. Es ist ein ganz grosses Verdienst, wenn der Bundesrat bei vielen Sachen Nein sagt. Wenn die SP das gemeint hat, würde mich die Kritik freuen. Wenn es mir gelingt, dass der Staat Dinge nicht mehr tut, die er nicht machen muss, dann wäre das ein Kompliment für mich. Ich bezweifle aber, dass mein Erfolg so gross ist. Wir haben jedenfalls noch sehr viel zu tun. Was möchten Sie im Bundesrat ändern? Ich kritisiere das Kollegium nicht. Es ist einfach eine Tatsache, dass der Bundesrat zu viele Geschäfte auf seinem Pult hat. Ihre Folgerung? Es braucht dringend eine umfassende Verwaltungsreform. Es ist nötig, dass die Verantwortlichkeiten klar geregelt werden. Am meisten fällt mir auf, wie unklar und schwammig mit dem zentralen Führungsbegriff und der Verantwortung umgegangen wird. Von weit oben bis weit unten sind zwar umfassende Kompetenzen gegeben, aber ohne klare Verantwortlichkeiten. Wir leisten uns eine zu grosse Staatsverwaltung, die ein System am Leben erhält und keine Zeit und Kraft mehr übrig lässt, das System zu ändern. Heute braucht es eine Verwaltung, um die Verwaltung zu betreiben. Das geht nicht. Sie haben Vertreterinnen der Kantone zu ihrer Medienkonferenz eingeladen, die dringend Massnahmen im Vollzug des Asylbereichs fordern. Stützen Sie diese Forderungen? Ich wurde in den ersten Tagen meiner Amtszeit als Justizdirektor von den Kantonen immer wieder aufgefordert, etwas zu unternehmen. Bisher hat man die Vollzugsprobleme schöngeredet oder die Hilferufe der Kantone gar nicht erhört. Wir haben diese Rufe geprüft und feststellen müssen, dass der Vollzug tatsächlich eines der grössten Probleme ist. Wir kommen mit Lösungen. Das heisst, Sie sind für längere Haftdauer bei Asylbewerbern, die beispielsweise ihre Papiere nicht vorlegen oder für den Bau von Ausführungszentren? Wir prüfen die Forderungen. Aber ich bin noch nicht so weit, dass ich sie konkret vorschlagen kann. Sicher ist einfach, dass grosse Probleme bestehen, wenn 90 Prozent der Bewerber eigentlich gar keine Flüchtlinge sind oder wenn lediglich 14 Prozent ihre Identität preisgeben oder über Papiere verfügen. Wir haben gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Insofern stehe ich den Forderungen, wie sie die St. Galler Justizdirektorin Karin Keller-Sutter gestellt hat, offen gegenüber.

03.04.2004

«Ich wurde nicht gewählt, um zu rühmen»

03.04.2004, Blick (Christian Dorer) Herr Bundesrat, haben Sie in Ihren ersten 100 Tagen gar nichts Gutes festgestellt? Ich wurde nicht gewählt, um zu rühmen. Ich muss herausfinden, wo die Probleme liegen. Wenn Sie unbedingt was Positives hören wollen: Die Schweiz ist immer noch sicherer als andere Länder. Und es geht uns wirtschaflicht besser als etwa Kambodscha. Ihre Rede war reine Schwarzmalerei. Wir haben 130 Milliarden Franken Schulden, die Wirtschaft wächst nicht mehr, die Leute haben - zu Recht - Angst um ihre Stelle, man nimmt den Leuten immer mehr weg. Man vermisst den konstruktiven Ansatz. Ist es denn nicht konstruktiv, wenn man die Probleme benennt? Wenn man sie nicht zuerst anerkennt, kann man sie nicht lösen. Die SP kritisiert Sie als Ablehnungs-Bundesrat. Danke für das Kompliment! Die SP will eine schlechte Politik, dies gilt es zu verhindern. Wenn wir weitermachen wie bisher, geht's den Schweizerinnen und Schweizern schlechter. Im Bundesrat werden Sie oft überstimmt. Ein Frust? Es gibt solche Dinge, wo ich unterlag, und es gibt andere. Zum Beispiel? Darüber darf ich nicht sprechen. Das ist vertraulich und geheim. In der «Schengen»-Frage jedenfalls war der Bundesrat gegen Sie. Auch das muss offen bleiben. Aber jedermann wusste, dass der Bundesrat «Schengen» will. Warum Sind Sie dann dagegen angetreten? Damit Ihre Anhänger befriedigt sind? Ich darf Ihnen nicht sagen, was ich im Bundesrat warum gemacht habe, tut mir Leid. Wie ernst nehmen Sie die Kollegialität? In Ihrer Rede haben Sie ausführlich auf die Nachteile hingewiesen. Nur ein Propagandist verschweigt die Nachteile. Ich habe immer Vor- und Nachteile von Vorlagen aufgezeigt. Das ist eine Frage von Glaubwürdigkeit. «Schengen» ist in Ihrem Departement. Werden Sie es vertreten? Es ist wie immer im Bundesrat: Gleich drei Bundesräte sind zuständig. Wenn ich die Meinung des Gesamtbundesrates vertreten muss, dann tue ich das. Sie ziehen also auch in den Abstimmungskampf für «Schengen» und gegen die SVP? Ich werde auf jeden Fall nicht gegen den bundesrätlichen Beschluss antreten.

02.04.2004

Pressekonferenz «100 Tage» in Buchs – Teil 3

Begrüssung und Einleitung durch Bundesrat Blocher 02.04.2004, Buchs Es gilt das gesprochene Wort Meine Damen und Herren Ich begrüsse Sie zur Pressekonferenz, welche ich nach dreimonatiger Amtstätigkeit als Bundesrat hier im St. Gallischen Buchs durchführe. Warum dies? Ausgangspunkt Ich bin in den Bundesrat gewählt worden, und der Bundesrat hat mir anschliessend die Führung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD) übertragen. Mein Auftrag ist es demnach, einerseits im Bundesrat mitzuwirken, mitzuentscheiden und die Mitverantwortung zu tragen und anderseits das EJPD zu führen. Wenn ich diesen Auftrag gut erfülle, wird dies die Freiheit, die Sicherheit und das Wohlergehen der Schweizerinnen und Schweizer positiv beeinflussen. Die Pressekonferenz findet in zwei Teilen statt. Im ersten Teil betrifft sie meine Tätigkeit im Justiz- und Polizeidepartement und im zweiten Teil generell meine Amtsführung als Bundesrat. Hauptsorgen an der Basis Das Augenscheinliche der ersten drei Monate sind - nicht nur von Seiten der Bevölkerung - sondern vor allem auch von Seiten der Kantonsregierungen, von Seiten der Städte, von Strafvollzugs- und Sozialbehörden eindeutig die zahlreichen Bitten, Hilferufe und Forderungen zur Lösung von Problemen im Bereich der illegalen Einwanderung, des Missbrauchs im Asylwesen und der Ausländerkriminalität. Nachdem diese Probleme allzu lange verschwiegen, schöngeredet und tabuisiert wurden, ist es an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen, damit zur Lösung der Probleme geschritten werden kann. Warum in Buchs? Der Kanton St. Gallen ist einer der 15 Grenzkantone unseres Landes. Hier im Rheintal zeigen sich beispielhaft all die Probleme der Einwanderung, der legalen und illegalen Migration, der ungelösten Probleme im Asylwesen und der mit der illegalen Einwanderung zusammenhängenden Kriminalität. Dass die Probleme im Grenzraum zusammenkommen, beweist Ihnen die örtliche Konzentration von zahlreichen Ämtern und Institutionen aus diesem Bereich: - Im benachbarten Altstätten befindet sich ein Transitzentrum, das heisst eine Bundesempfangstätte. - Hier in Buchs ist eine Station der Kantonspolizei St. Gallen, insbesondere eine Station der Grenzpolizei der Kantonspolizei, welche spezialisiert ist auf Personenkontrollen in Zügen und Cars. - Das Regionalgefängnis, primär für Untersuchungshaft - ein Teil davon wird auch zur Ausschaffungshaft benutzt - ist ebenfalls in Altstätten angesiedelt. - Beheimatet ist im benachbarten Heerbrugg das Kommando des Grenzabschnittes Rheintal, das zum Grenzwachtkorps 2 der Ostschweiz mit Sitz in Schaffhausen gehört. - Hier in dieser Region ist das Sonderdetachement "Ameise" oft im Einsatz, welches sich ausschliesslich der Bekämpfung des Drogenhandels widmet. Diese Gruppe macht Schwerpunktkontrollen in Kooperation mit der Staatsanwaltschaft. Sie sehen, wir sind hier "am Ort des Geschehens". Ich finde es daher richtig, dass wir hier für den ersten Teil der Veranstaltung auch den direkt betroffenen Behörden das Wort geben. Die Region hat das Wort Deshalb habe ich für diese Pressekonferenz Gäste eingeladen, die Ihnen ihre Hauptsorgen, Nöte und Forderungen aus dem Alltag darlegen. Diese Gäste werden sich anschliessend auch Ihren Fragen stellen. Ich begrüsse: Frau Regierungsrätin Karin Keller-Sutter (SG), Präsidentin der Ostschweizer Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz Sie wird begleitet von: - Herrn Bruno Zanga, Leiter des Ausländeramtes des Kantons St. Gallen - Herr Oblt Siegward Rüegg, Chef der Regionalpolizei der Kantonspolizei St. Gallen - Herr Peter Christoffel, Chef der Grenzpolizei in Buchs - Herr Thomas Wieland, Leiter der Abteilung Jugend/Sozialhilfe/Migration beim Amt für Soziales des Kantons St. Gallen Aus einem anderen Grenzkanton - dem Kanton Wallis - begrüsse ich Madame Françoise Gianadda, Vorsteherin der Dienststelle für Zivilstandswesen und Fremdenkontrolle des Kantons Wallis. Diese Damen und Herren, welche die anstehenden Probleme hautnah aus ihrer täglichen Arbeit kennen, werden Sie in der nächsten Stunde über ihre Anliegen orientieren und Ihnen Fragen beantworten. Vom Grenzwachtkorps anwesend sind hier: - Herr Werner Schöni, stv. Kommandant des Grenzwachtkorps 2, Schaffhausen - Herr Oskar Gächter, Abschnittchef des Grenzwachtsabschnittes Heerbrugg Auch sie stehen für Fragebeantwortungen zur Verfügung, wie auch die Verantwortlichen aus meinem Departement. Es sind dies: - Herr Eduard Gnesa, Direktor des Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES) - Herr Urs Hadorn, Direktor a.i. des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF) - Herr Heinrich Koller, Direktor des Bundesamtes für Justiz (BJ) - Herr Jean-Luc Vez, Direktor des Bundesamtes für Polizei (FEDPOL)

02.04.2004

Pressekonferenz «100 Tage» in Buchs – Teil 1

Bundesrat Christoph Blocher steht Red und Antwort 02.04.2004, Buchs Es gilt das gesprochene Wort Einleitende Betrachtung Am 10. Dezember 2003 bin ich in den Bundesrat gewählt worden und dies als Politiker mit einer politischen Grundhaltung, die ich vor den Wahlen eindeutig dargelegt und bekannt gegeben habe. Ich habe versprochen, meine politische Überzeugung nach bestem Wissen und Gewissen in den Bundesrat einzubringen. Insbesondere war es die Überzeugung, dass unser Land politische Korrekturen nötig hat. Mit dem Wahlerfolg der SVP am 19. Oktober 2003 haben dies die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Was heisst das? Die Fehlentwicklungen in unserem Land - Schuldenwirtschaft, Defizite der öffentlichen Hand, stark gestiegene und weiter steigende Staatsausgaben, geringes Wirtschaftswachstum, abnehmende Sicherheit, Unterwanderung der Selbstverantwortung - sind in erster Linie auf eine falsche, zunehmend sozialistische Politik zurückzuführen. Darum forderte ich eine Neubestimmung über die Aufgaben des Staates. Oder etwas provokativer: Wir haben zu viel Staat! Nach drei Monaten Regierungstätigkeit muss ich mit Dringlichkeit bestätigen: Es ist so! Der Staat als Alles-Regler, als All-Versorger, als gesellschaftlicher Schulmeister hat ausgedient. Es ist dringend, dass sich der Staat möglichst zurückzuhalten und zurückzunehmen hat, damit sich die Menschen in Selbstverantwortung frei entfalten können. Was sind denn eigentlich die Hauptaufgaben des Staates? 1. Er hat für die äussere und innere Sicherheit des Landes zu sorgen. 2. Er hat die Freiheitsrechte des einzelnen durch die Gesetzgebung und Rechtssprechung zu gewährleisten. 3. Er hat die Freiheit des Marktes und des Marktgeschehens zu gewährleisten. 4. Er hat jene Güter bereitzustellen, für die es keinen funktionierenden Markt gibt. 5. Er hat sich jener Menschen anzunehmen, die nicht eigenverantwortlich handeln können. Es ist Tatsache, dass der Staat in den letzten 20 Jahren vor allem anderes getan hat, was zur Überforderung des Staates führte - mit äusserst fatalen Folgen für die Menschen. Ihre Sicherheit und Ihre Wohlfahrt sind immer weniger gewährleistet. Als Mitglied des Bundesrates und somit als einer der Repräsentanten der Schweiz sehe ich die Sache mehr von Innen, aber nach gründlicher Analyse nicht wesentlich anders. - Nehmen wir die Sicherheit. Sicherheit kann man nur für einen begrenzten Raum gewährleisten. Bestimmt wird dieser Raum durch Grenzen. Welchen Stellenwert haben diese Grenzen in der heutigen Politik? Die Antwort finden Sie in den Medien. Die Politik sucht zur Zeit das Grenzenlose - nicht nur geographisch. Der heutige Morgen hat Ihnen einen Teil dieser Problematik vor Augen geführt. - Wie steht es mit der ökonomischen Freiheit als Voraussetzung zur Wohlfahrt? Der Staatsinterventionismus ist sprichwörtlich, verbunden auch mit den Subventionen zahlreicher privatwirtschaftlicher Interessen. Wohl wird diese Problematik - vor allem angesichts leerer Kassen, Schulden und fehlendem Wirtschaftswachstum - theoretisch anerkannt. Eine eigentliche Verzichtsplanung ist nirgends sichtbar und politisch noch verpönt. - Statt uns der Bedürftigen anzunehmen, schütten wir die staatlichen Unterstützungen über möglichst viele Bürger aus. - Statt fehlende Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, leisten wir uns vor allem im öffentlichen Verkehr einen öffentlichen Luxus. Redimensionierung ist unausweichlich. - Um all die ausufernden Staatsaufgaben zu bewältigen, leisten wir uns eine zu grosse Staatsverwaltung, die ein System am Leben erhält und keine Zeit und Kraft mehr übrig lässt, das System zu ändern. Weitgehend braucht es eine Verwaltung, um die Verwaltung zu betreiben. Es ist gut, dass der Bundesrat eine "umfassende Verwaltungsreform" prüfen will. - Am meisten aber fällt mir auf, wie unklar und schwammig mit dem zentralen Führungsbegriff der Verantwortung umgegangen wird. Niemand ist klar für etwas gegenüber jemandem verantwortlich. Auch nicht gegenüber dem Bundesrat. Die Verantwortungen sind auch innerhalb des Bundesrates unklar. Von weit oben bis weit unten sind zwar umfassende Kompetenzen - über Finanzen, Mittel, Einflussmöglichkeiten - gegeben, aber ohne Verantwortlichkeiten. Das wirkt sich dann insbesondere in Situationen verhängnisvoll aus, wo Führung gefragt ist, wie in Krisensituationen, oder wenn bedeutende Änderungen anstehen und in schwierigen Situationen, wo Unangenehmes mit hohem Verantwortungsrisiko zu vollziehen ist. Wo alle für alles verantwortlich sind, ist niemand für etwas verantwortlich. - Augenscheinlich ist nach drei Monaten Regierungstätigkeit: Die Information der Bürgerinnen und Bürger über den eigenen Staat ist schlecht. Insbesondere über die Arbeit der eigenen Regierung. Die Bürgerinnen und Bürger sind schlecht und falsch über die Regierungstätigkeit orientiert. Das liegt nicht in erster Linie an den Journalisten. Es hängt damit zusammen, dass die Regierungstätigkeit geheim ist. Daraus resultiert eine selektive Geheimhaltung und deren gezielte Umgehung. In diesem System entwickeln sich Informationsdienste zu Propagandaabteilungen. Andererseits wird unten in der Verwaltung quantitativ viel und unkoordiniert informiert. Ich bin heute der Meinung, dass eine Systemänderung, nämlich ein System mit grundsätzlich öffentlich durchgeführten Bundesratssitzungen, besser wäre. Zumindest drängt sich die Überprüfung des heutigen Systems auf: Die öffentliche Sichtbarmachung des "Für- und Wider" und die offene Abstimmung im Entscheidungsgremium wäre der heutigen Situation vorzuziehen. Mir scheint dies gerade in einer Konkordanzregierung bedeutungsvoll. Die Glaubwürdigkeit unserer Regierung würde gestärkt, weil die Politik transparenter würde, die Verantwortung klarer wahrgenommen und zugewiesen werden könnte. Die Bevölkerung wäre - im Gegensatz zu heute - orientiert. Dies sind ein paar einleitende Bemerkungen. Weitere Ausführungen erfolgen bei der Beantwortung Ihrer Fragen, wobei ich dies im heutigen System tue, d.h. es gilt das Kollegialitätsprinzip im Bundesrat und da halte ich mich an die Schweigepflicht, so lange dieses System gilt.

08.02.2004

Volksinitiative Lebenslange Verwahrung (Abstimmung vom 8. Februar 2004)

Stellungnahme von Bundesrat Christoph Blocher, Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes 08.02.2004 Es gilt das gesprochene Wort Die Verwahrungsinitiative ist von Volk und Ständen gut geheissen worden. 1'198'751 (56,2 %) Stimmbürgerinnen und Stimmbürger und 21,5 Kantone haben sich für die Initiative ausgesprochen, lediglich 934'576 (43,8 %) und 1,5 Kantone dagegen. Das Resultat ist klar. Damit ist gesagt, dass extrem gefährliche Gewalt- und Sexualverbrecher, die nicht therapierbar sind, lebenslänglich zu verwahren sind. Die Annahme dieser Initiative erfolgte entgegen der Empfehlung von Parlament und Bundesrat. Der nun beschlossene Verfassungstext ist die Reaktion auf eine jahrelange allzu large Strafvollzugspraxis und ist Ausdruck eines weitverbreiteten Misstrauens gegenüber Behörden und Fachleuten im Straf- und Massnahmenvollzug. Diese Besorgnis und dieser Vertrauensverlust sind ernst zu nehmen. Es geht nun darum, den Volkswillen zu respektieren, auch wenn Parlament und Bundesrat anderer Meinung waren. Durch die Annahme der Initiative sind Bundesrat und Parlament verpflichtet, unverzüglich die entsprechenden Gesetzgebungsarbeiten an die Hand zu nehmen. Ich versichere Ihnen, als Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, dies umgehend zu tun: Die Änderung des Strafgesetzes im Sinne der Verwahrungsinitiative wird umgehend in die Wege geleitet.