Der Ständerat hat die bundesrätliche Vorlage auf Druck der Manager massiv verwässert

Abzocker-Initiative: Interview mit der NZZ vom 13. Februar 2010

Die Credit Suisse zahlt pro Mitarbeiter durchschnittlich 144 000 Franken Bonus. Ist das Wasser auf die Mühlen von SVP und «Abzocker»-Initiant Minder?

Vielleicht. Aber weil der Steuerzahler beim Kollaps der CS zahlen müsste, interessiert die Frage auch die Politik. Die gewinnabhängigen Boni müssten jedenfalls auf ein Sperrkonto bezahlt werden. Schlimm aber ist, dass Geschäftsleitungsmitglieder die führenden Leute für 2008, als die CS einen Verlust von 8,2 Mia. zu verzeichnen hatte, im Durchschnitt mit 7,1 Mio. Fr. Entschädigt wurden! Das ist unternehmerischer Unsinn und für den Schweizerischen Steuerzahler, der im Ernstfall faktisch haftet, unhaltbar! In guten Jahren begründete man den Bonus als unternehmerische Partizipation am Gewinn. Als Verluste produziert wurden, waren Boni plötzlich Prämien um die Leute zu halten.

Sind Sie auf Thomas Minder zugegangen, oder war es umgekehrt?

Der bundesrätliche Entwurf für das revidierte Aktienrecht stammt aus meiner Zeit als Bundesrat. Damals habe ich mit allen involvierten Kreisen intensive Gespräche geführt, auch mit Herrn Minder. Jetzt tue ich es nicht als Bundesrat, sondern als Verantwortlicher für Strategiefragen der SVP. Seit Anfang Dezember 2009 führten Thomas Minder und ich intensive Gespräche mit dem Ziel, eine wirtschaftspolitische gangbare Lösung zu haben, die es dem Initiativkomitee erlaubt, die  Initiative zurückzuziehen und die gleichzeitig auch der Haltung der SVP entspricht.

Haben Sie denn als Bundesrat eine untaugliche Vorlage gezimmert?

Nein. Aber der Ständerat hat die bundesrätliche Vorlage auf Druck der Manager massiv verwässert. Die Einigungsvorlage nimmt die Eckwerte wieder auf. Die Lehren aus der Finanzkrise zwingen zudem zu Ergänzungen: Zum Beispiel die Genehmigung der Gesamtvergütung der Geschäftsleitung durch die Generalversammlung. Unter dem Aspekt der Verantwortlichkeit ist das zwar nicht ganz lupenrein. Die Geschäftsleitung untersteht dem Verwaltungsrat. Aber um Missbräuche bei der Salärierung der Geschäftsleitungen bei börsenkotierten Firmen zu verhindern, muss dies im Kauf genommen werden. Und jede börsenkotierte Firma, die keinen Dreck am Stecken hat, kann gut damit leben.

Sie schliessen ein Ja zur Minder-Initiative nicht aus. Spielt da der Druck der SVP-Basis mit? Auch bei der BVG-Vorlage haben Sie ja grösste Mühe, ihre Truppe zusammenzuhalten.

Nicht nur die Basis, sondern ich persönlich ziehe die „Abzocker-Initiative“ einem schlechten Gegenvorschlag vor. Man hat keine Vorstellung davon, wie viele Leute letztlich Aktionäre sind und damit ihr Geld verloren haben, zum Beispiel bei der zweiten und dritten Säule! Die Stimmung in der Bevölkerung ist darum schlecht, zu recht. Dies rächt sich nun bei der BVG-Vorlage. Diese gute Vorlage geht verloren – nicht nur wegen der lausigen Pro-Kampagne.

Hat die Wirtschaft das Vertrauen der Politik verspielt?

Nicht das Vertrauen in die Wirtschaft, aber in die Verantwortlichen von börsenkotierten Firmen, vor allem die Banken und Versicherungen. Hier sind ja auch Missstände aufgetreten. Da  ist das Privateigentum der Anleger nicht mehr geschützt.

CVP und FDP wollen nach wie vor einen direkten Gegenvorschlag zur Minder-Initiative. Ist ein bürgerlicher Schulterschluss unmöglich geworden?

Der direkte Gegenvorschlag macht keinen Sinn mehr. Thomas Minder könnte sonst seine Initiative nicht zurückziehen. Nun müssten die Mitteparteien einlenken.

Sprechen Sie noch mit CVP und FDP?

Unverzüglich wird die SVP mit allen Regierungsparteien reden.  Inhaltlich ist ja die CVP schon weit gegangen mit ihren Vorschlägen. Und wenn die SP nicht nur vom Abzocker-Problem leben, sondern es lösen will, wird auch sie mitmachen.

Kommt es Ihnen zupass, dass Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf für die Aktienrechtsreform verantwortlich ist?

Es wäre mir schon lieber, ich wäre selber noch zuständig (lacht). Also tue ich es nun als Bürger – als Mitglied des Souveräns.

Sie könnten ja das zuständige Departement kontaktieren.

Das geht nicht. Frau Widmer-Schlumpf ist da sehr empfindlich. Würde ich meine ehemaligen Leuten kontaktieren, wären diese wohl ihre Stelle los.

Blicken wir nach Deutschland. Ihre ehemaligen Bundesratskollegen wollen möglichst rasch ein neues Doppelbesteuerungsabkommen abschliessen.

Das ist zu sistieren. Man schliesst keine Abkommen mit einem Staat ab, der gestohlene Bankdaten kauft und sich als Hehler und Mittäter agiert. Zuerst muss die Datenklau-Affäre bereinigt werden. Auch strafrechtlich.

Welche Handlungsoptionen sehen Sie gegenüber Deutschland?

Das Bankkundengeheimnis gilt. Man kann es nicht ändern, ohne das Schweizer Gesetz zu ändern. Das hat man Deutschland zu erklären.

Und weiter?

Die Unterscheidung zwischen Hinterziehung und Betrug muss bleiben. Sonst wird in der Schweiz jeder Steuerzahler kriminalisiert. Durch die neuen Doppelbesteuerungsabkommen  würde der Grundsatz der doppelten Strafbarkeit preisgegeben. Dieser bedeutende Grundsatz sagt, dass für die Gewährung von Rechts- und Amtshilfe sowohl nach der Rechtsordnung im Inland als auch im Ausland ein Verdacht zu einem Verbrechen vorliegen muss. Steuerhinterziehung ist nach schweizer Recht ein Vergehen – wird auch bestraft – aber nicht als Verbrechen. In Deutschland ist es ein Kapitalverbrechen. Es ist ausserordentlich gefährlich, wenn man allgemeine Grundsätze auf den kleinsten Druck hin preisgibt.

Sie haben aber selber schon signalisiert, man müsse dem Ausland klar machen,
dass man kein Geld aus Steuerbetrug bzw. Hinterziehung akzeptiert.

Das gilt schon heute für die Banken. Sie machen sich strafbar, wenn sie die Kunden zu Steuerhinterziehung verleiten. Wenn die Banken nicht hintergangen werden wollen, dann können sie von ihren Kunden eine Bestätigung verlangen, dass sie ihr Geld versteuert haben.

Die Privatbanken laufen dagegen Sturm.

Dann müssen sie es nicht tun. Aber die Konsequenzen tragen.

Weiter steht die Idee einer Abgeltungssteuer im Raum. Eine solche wäre innenpolitisch konsensfähig.

Europa hat dies bisher abgelehnt. Diese würde der Schweizeischen Verrechnungssteuer entsprechen, die ja Steuerhinterziehung uninteressant macht. Warum will die EU nicht? Weil die angelsächsischen Staaten viel stärker geschützte Finanzplätze – auch für Schwarzgelder – haben. Und weil sich die EU-Staaten gegenseitig nicht trauen, dass das Geld überwiesen wird! Aber wenn die EU eine Abgeltungssteuer will, bin ich nicht dagegen.

Die SVP hat bisher immer nur Härte markiert. Sie wollten das Bankgeheimnis in der Verfassung verankern.

Nicht Härte, sondern Konsequenz! Konsequent sein bedeutet die schweizerische Rechtsordnung zu respektieren und zu verteidigen! In diesem Fall das Bankkundengeheimnis.  Die Idee eines Verfassungsartikels kam auf, weil die Politiker angefangen haben, es zu unterlaufen. Willkürlich!

Sie halten also immer noch an der Verankerung in der Verfassung fest.

Ja, aber wir sollten es weiter fassen. Wir brauchen einen Verfassungsartikel zum Schutz der Privatsphäre allgemein. Das Bankkundengeheimnis ist ein Teil davon. Die SVP hat erst ein vorläufiges Konzept dazu. Im Moment haben leider aktuelle Fragen Vorrang.

Es macht den Anschein, als komme die Schweiz überall zu spät. Das hat doch auch damit zu tun, dass die SVP jegliche Kompromissbereitschaft des Bundesrats sofort als Schwächezeichen diskreditiert.

Für das Richtige zu spät und für das Falsche zu früh! Das Problem wurzelt darin, dass die Politik heute konzept- und strategielos handelt. Solange der Bundesrat so regiert, ist der dauernden Flucht nach vorn und dem Regieren im Einzelsprung-Verfahren entschiedener Widerstand entgegenzusetzen.

Macht der Bundesrat denn überhaupt etwas richtig?

Wenn er etwas richtig machen würde, hätten Sie die Frage nicht gestellt.

Wir fragen trotzdem.

Auf den kleinen Druck aus dem Ausland macht der Bundesrat so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann. Der Gesamtbundesrat delegiert Probleme und lässt Strategielosigkeit zu. Heute hackt man auf Hans-Rudolf Merz herum. Dabei hat es hat noch sechs andere Bundesräte. So wird jeden Tag unter Druck Neues preisgegeben. So verliert das Land den Respekt! Nehmen wir den automatischen Informationsaustausch! Bis vor kurzem galt dies als undenkbar. Jetzt heisst es, die Preisgabe sei allenfalls die Gegenleistung für ein – übrigens unnötiges – Dienstleistungsabkommen mit der EU. Ein neuer Sprung ins Abseits!

Bundespräsidentin Leuthard sagt, der Bundesrat sei sich völlig einig.

Das hoffe ich nicht.

Vertritt Ueli Maurer denn eine andere Meinung als die übrigen Bundesräte?

Leider sind die Sitzungen geheim. Aber ich bin überzeugt, dass Ueli Maurer die Meinung der SVP vertritt.

Sie wollen die UBS aufspalten.

Alle systemrelevanten Firmen. Da gehört neben der UBS auch die CS.

Hat die Schweiz nicht hervorragend von der Grösse dieser Banken gelebt?

Von den Banken – nicht von der Grösse! Wir wollen die Banken nicht kaputtmachen. Aber neu strukturieren, damit im Krisenfall nicht die Schweiz kaputt geht. Und jede Firma kann sterben. Ich kenne kein Unternehmen, das vor 2000 Jahren gegründet wurde und noch lebt – ausser die katholische Kirche. (Aber sie muss die Bilanz wohl erst im Himmel offenlegen). Spass beiseite: Die Schweizer Volkswirtschaft darf nicht in den Ruin gezogen werden, nur weil eine Grossbank in den USA Verluste erwirtschaftet.

Vielleicht ist Ihre Idee nicht gut genug.

Dann bringen Sie eine bessere. Aber unser Weg löst das Problem Too big – to fail. Das ist noch wichtiger als das Bankgeheimnis, die  Doppelbesteuerungsabkommen,  das Aktienrecht und vieles mehr. Hier geht es um die Existenz des Landes.  Doch der Bundesrat hat als Experten vorwiegend Grossbankvertreter. Für dieses Problem ist dies falsch: „Wer den Sumpf trocken legen will, kann dies nicht mit den Fröschen besprechen“.

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