Manager sollen sich nicht mehr selbst bedienen können

«Bundesrat Christoph Blocher über Abzockerei, Einwanderung und seine Pläne»

27.05.2007, Sonntagszeitung, Victor Weber und Arthur Rutishauser

Herr Blocher, die Wirtschaft kommt erst richtig in Fahrt , und Sie warnen bereits vor einer Überhitzung.
Es ist schön, dass die Wirtschaft läuft. Doch nun gibt es eindeutig eine Überhitzung, wenngleich noch ohne Inflation. Fragt sich, was passiert, wenn wieder eine Rezession kommt. Eine solche wird bestimmt folgen.

Warum?
In der freien Wirtschaft folgte der Hochkonjunktur immer eine Rezession. Eine ähnliche Überhitzung erlebten wir zum Beispiel 1989, und die Arbeitslosigkeit war viel tiefer als heute. Der Vorteil ist, dass der Anstieg des Lohnniveaus kleiner ist. Aber es führt in einer Rezession zu einer höheren Arbeitslosigkeit, die sich dann den europäischen Verhältnissen angleichen wird.

Nun wandern vor allem Deutsche ein, wobei hochqualifizierte Arbeitskräfte kommen, die Wachstum ermöglichen. Ihre Befürchtungen sind bisher nicht eingetreten.
Ich weiss nicht von welchen Befürchtungen Sie sprechen. Mein Statement war klar, die Öffnung des Arbeitsmarktes gegenüber der EU war unvermeidlich. Gerade in der Zeit der starken Konjunktur nimmt die Wirtschaft viele Beschäftigte auf. Auf die Dauer bringt dies eine Verflachung des Lohnniveaus und in der Tendenz eine steigende Arbeitslosigkeit. Dies hat man in Kauf zu nehmen.

Wird die Abschaffung der Einwanderungskontigente dies weiter verschärfen?
Die letzte Quartalsquote für Daueraufenthalter aus den alten EU-Ländern war innert 41 Minuten vergeben. Am 1. Juni fallen die Kontingente für die alten EU-Staaten ganz weg. Bei der starken Konjunktur werden die bisherigen Quoten gegenüber den „alten“ EU-Ländern mit Bestimmtheit überschritten werden.

Sie befürchten eine zweite deutsche Einwanderungswelle?Am Anfang, also Juni/Juli, wird die Zuwanderung wohl relativ stark sein, dann wird sie wieder etwas abflachen. Wir müssen aber das erste Jahr abwarten, um zu wissen, ob man die Kontingente wieder einführen muss oder nicht – so wie dies auch in den Verträgen vorgesehen ist.

Das würde aber das Verhältnis zu EU weiter trüben. Brüssel übt ja jetzt schon Druck aus, damit die Schweiz Steuervorteile für ausländische Unternehmen abbaut.
Wir dürfen auf die Forderung der EU nicht eingehen, das ist klar. Es geht doch nicht an, dass die EU uns sagen will, wie wir in den Kantonen und im Bund die Steuern gestalten wollen. Die Souveränität der Staaten ist zu achten!

Was kann die Schweiz gegen den Machtblock EU setzen? Die Schweiz ist für die EU in vielerlei Hinsicht wichtig. Man denke nur an die Nord-Süd-Verbindung durch die Alpen, an den Strom und die Stromdrehscheibe Schweiz, an die Personenfreizügigkeit. Wir sind ein wichtiges Exportland für die EU, wir zahlen grosse Beiträge, zum Beispiel die Kohäsionsmilliarde, von denen auch neue EU-Mitglieder wie Bulgarien und Rumänien profitieren wollen.

Haben Sie in der Steuerfrage einen Mitbericht verfasst, in dem Sie darauf verweisen, dass die Schweiz allenfalls die Kohäsionsgelder sowie die erweiterte Personenfreizügigkeit in die Waageschale werfen soll?
Der Bundesrat hat beschlossen, dass er mit der EU reden, aber nicht verhandeln will, was auch richtig ist. Die Schweiz kann es sich leisten, nicht auf alle Forderungen der EU einzutreten. Jetzt muss die Schweiz Flagge zeigen.

Sehen sie eine Möglichkeit, dass man sagt, wir besteuern ausländische und schweizerische Unternehmen gleich?
Mein ursprünglicher Antrag für die Unternehmensbesteuerung war: Abschaffung der Unternehmensgewinnsteuern. Die Steuern werden ja bei der Ausschüttung der Dividenden erhoben. Bundesrat und Parlament sind aber andere Wege gegangen.

Mit den feindlichen Übernahmen von Sulzer und Co. ist die Diskussion aufgeflammt, ob schon Pakete von unter fünf Prozent gemeldet werden müssen. Offenbar ist es heute zu einfach, heimlich eine beherrschende Beteiligung aufzubauen.

Das Problem ist nicht ein zu hoher Schwellenwert. Sondern die Melderegeln werden heute nicht durchgesetzt. Also muss dafür gesorgt werden.

Folglich müssten die Sanktionen verschärft werden?
Vor allem muss gehandelt werden. Wenn sich dann die heutigen Sanktionsmöglichkeiten als unbrauchbar erweisen, so sind diese zu verschärfen. Diese Frage liegt aber in der Kompetenz der Schweizer Börse, der Eidgenössischen Bankenkommission und des Finanzdepartements.

Welche Sanktionen könnten Sie sich vorstellen?
Das kann eine happige Busse sein oder noch besser: Die heimlich erworbenen Aktien werden nicht anerkannt, die Transaktionen gelten nicht.

Nächste Woche referieren Sie bei einer Veranstaltung am Novartis-Hauptsitz über den Schutz des Patentrechts.
Ich fordere die chemische und die pharmazeutische Industrie auf, sich gegen die im Parlament zu beobachtende Tendenz zur Wehr zu setzen, das Patentrecht zu durchlöchern, indem Parallelimporte patentgeschützter Güter zugelassen werden. Das ist unverantwortlich: Nur Entwicklungsländer – wie es die Schweiz im 19. Jahrhundert war – kennen das Prinzip der internationalen Erschöpfung, das es einem Hersteller untersagt, dem ausländischen Abnehmer Auflagen zu machen.

Das ist doch ein gutes Mittel gegen die steigenden Medikamentenkosten und Krankenkassenprämien.
Kurzfristig hätte dies vielleicht eine geringe preissenkende Wirkung, das ist immer so, wenn Eigentum enteignet und verteilt wird. Es ginge ja um eine Enteignung von geistigem Eigentum. Die Wirtschaft investiert jedoch nicht Milliarden in Forschung und Entwicklung, wenn ihr Eigentum an den patentierten Resultaten ausgehöhlt wird. Die Schweiz liegt mit 9,6 Milliarden Franken privaten Forschungsaufwendungen an der Spitze. Die Hälfte davon investiert allein die Pharmaindustrie. Bezeichnenderweise haben die USA als innovativstes Land der Welt auch den stärksten Patentschutz.

…und das teuerste Gesundheitswesen.
In den USA sind neue Medikamente teurer, nach kurzer Zeit aber brechen die Preise zusammen, weil sie keine Preisbindung haben und oft neue andere Patentprodukte kommen. Der Wettbewerb schliesst die Möglichkeit aus, hohe Preise zu verlangen. Patente schützen aber vor Nachahmung, aber nicht vor Konkurrenz durch vergleichbare Produkte. Innovationsgewinne während des Patentschutzes sind gewollt. Sie sind die Triebfeder für Forschung und Entwicklung. Der Pharmamarkt ist aber ein verzerrtes Beispiel, weil hier die Preise in Europa staatlich geregelt sind. Für die Schweiz ist aber der Patentschutz für die gesamte Wirtschaft – auch für die innovative Apparate-, Uhren- und Biotech-Industrie – eminent wichtig. Letztlich geht es um den Interessenskonflikt zwischen der innovativen Industrie und dem Zwischenhandel, der möglichst billig Produkte einführen will, um seine Marge zu verbessern.

Bei der Revision des Unternehmerrechts wollten Sie die Inhaber-Aktie abschaffen, nach dem Protest der Wirtschaft  sind Sie davon abgekommen Auf internationalem Druck unter dem Stichwort Geldwäscherei wollte der Bundesrat die Inhaber-Aktien abschaffen, die nicht ins Aktienbuch eingetragen werden müssen und darum dem Eigener eine gewisse Anonymität gewähren. Inzwischen haben wir festgestellt, dass Europa gesamthaft nicht vorwärts macht, so dass wir keinen Grund sehen, voranzugehen und die in der Schweiz beliebte Inhaber-Aktie als eines der ersten Länder abzuschaffen. Selbst in zwei US-Bundesstaaten gibt es sie noch. Der Bundesrat hat beschlossen, diese zu belassen.

Knatsch gibt es wegen der vorgesehenen Einführung einer einjährigen Amtszeit für Verwaltungsräte.
Die Wirtschaftsverbände sind von den Managern der grossen Publikumsgesellschaften geführt. Man hat die Stellungnahmen der Führungsorgane, ob die Generalversammlung über die Festsetzung der Bezüge der Verwaltungsräte entscheiden soll, entsprechend zu gewichten. Heute funktioniert der Schutz des Aktionärs, also des Eigentümers, in grossen Publikumsgesellschaften schlecht. Das ist fast wie im Kommunismus: Die Produktionsmittel gehören allen, alle können bestimmen, das heisst keiner, ausser der Nomenklatura. Mit der einjährigen Wiederwahl des Verwaltungsrats kann das stark pulverisierte Aktionariat verstärkt Einfluss nehmen auf die Salärpolitik, was dem Management nicht passt. Diejenigen, denen die Firma gehört, sollen aber entscheiden können, wie viel aus der Firmenkasse ausbezahlt werden soll.

Der Selbstbedienungsmentaliät soll ein Riegel geschoben werden?
So ist es. Aber der Generalversammlung zwingend jedes Einzelsalär der Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitglieder vor Beschlussfassung vorzulegen, das würde zu weit gehen. Hingegen sollen die Aktionäre die Mitglieder des Verwaltungsrates, deren Leistung und deren Bezüge beurteilen können und jedes Jahr über das Mandat entscheiden. Findet der Aktionär, dass die offen gelegte Entschädigung im Vergleich zur erbrachten Leistung zu hoch ist, stimmt er gegen die Wiederwahl, und zwar in Einzelwahlgängen. So hat er Einfluss auf die Entschädigungen.

Thomas Minder will mit seiner Volksinitiative der GV die Kompetenz geben, die Gesamtvergütungen von Konzernleitung und VR zu bewilligen.
Insgesamt ist es ja noch eine gemässigte Initiative. Zu bedenken ist aber, dass auch eine solche Regelung sehr nachteilig sein  kann. Der Konzernchef reisst im Extremfall den Löwenanteil der bewilligten Gesamtvergütungen an sich und speist die anderen mit den Resten ab. Während vier Jahren ist er mit hohen Bezügen und schlechtem Resultat im Amt, ohne die Gesamtentschädigung zu überschreiten.

Die Wirtschaftsverbände sind indes alarmiert.
Die in einigen Fällen übertriebenen Managervergütungen beschäftigen halt die Bevölkerung. Sie sind zu einem grossen politischen Thema gemacht worden. Die geplante Revision des Aktienrechts ist aber die bessere Lösung als die Abzocker-Initiative. Die Manager müssen einfach bereit sein, vor die Aktionäre hin zu stehen!

Soll auch der Konzernchef jährlich bestätigt werden?
Für den Verwaltungsratspräsidenten und den allfälligen Verwaltungsratsdelegierten wäre das so. Der Konzernchef allerdings wird nach wie vor vom Verwaltungsrat angestellt. Betroffen wäre er aber, wenn er gleichzeitig VR-Präsident beziehungsweise VR-Delegierter ist. In jedem Fall aber sind seine Bezüge offen zu legen.

Bringen Sie die einjährige Amtszeit gegen den Widerstand von Economiesuisse durch?
ABB und sechs andere SMI-Grossfirmen haben sie bereits von sich aus eingeführt. Bei ABB kennt man ja die himmeltraurige Vorgeschichte von schlechtem Management und ungerechtfertigt hohen Abgangsentschädigungen.

Bald werden Sie in Ihrem Departement alle grossen Baustellen geschlossen haben.
Stimmt. Zumindest die wichtigsten Baustellen.

Und was kommt dann, eine Departementswechsel?
Mal sehen. Das Justiz- und Polizeidepartement haben sie mir gegeben. Nun geht es nicht mehr in erster Linie um neue Gesetze, sondern um die konsequente Anwendung der bestehenden.

Sie würden gerne ein neues Departement übernehmen.
Ja, das EJPD gibt dann nicht mehr sehr viele Probleme auf. Behalte ich es, dann habe ich noch mehr Zeit für die Gesamtpolitik des Bundesrates.

Welches Departement hätten Sie am liebsten?
Wo grosse Probleme anstehen, etwa das EDI mit den Sozialwerken. AHV und IV sanieren, das wären die ganz grossen Brocken.

Dann gehen Sie in Pension?

Wo denken Sie hin! Politische Freunde sagen, ich müsse bleiben, bis ich jedes Departement geführt habe (lacht).

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