«Ein gutes Management hat keine Angst, wenn Ems Einsitz nimmt»

Über seine Rolle als Lonza-Grossaktionär, seine Nachfolge und die Konjunktur

Interview mit der „SonntagsZeitung“ vom 17. November 2002

von Andreas Kälin und Daniel Zulauf

Herrliberg ZH – Die von Christoph Blocher kontrollierte Ems-Chemie hält direkt und indirekt über Put-Optionen 20,7 Prozent der Aktien von Lonza. Obwohl Ems nun der grösste Aktionär des Feinchemiekonzerns ist, hat Lonza-Präsident Sergio Marchionne im „Cash“ erklärt, er sei „nicht überzeugt, dass es nötig ist, Christoph Blocher in den Verwaltungsrat aufzunehmen“. Noch wichtiger als Lonza ist dem 62-jährigen Blocher die Regelung seiner Nachfolge: Bald entscheidet er über die Börsenzukunft seiner Ems-Chemie.

Christoph Blocher, Sie wollen einen Sitz im Lonza-Verwaltungsrat. Lonza-Präsident Sergio Marchionne hat auf Ihr Ansinnen öffentlich ablehnend reagiert. Hat er Sie auch direkt kontaktiert?

Christoph Blocher: Von einer feindlichen Reaktion ist mir von Lonza direkt nichts bekannt. Auf Herr Marchionnes Aussage trete ich nicht ein. Wir können nicht über die Medien kommunizieren. Ich habe mit dem Verwaltungsrat von Lonza einen Termin vereinbart, um über mein Anliegen zu sprechen. Aber eines ist klar, Ems kann nicht 500 bis 800 Millionen Franken gebunden haben, ohne im Verwaltungsrat vertreten zu sein. Andernfalls müssten wir die Beteiligung abbauen.

Rechnen Sie jetzt damit, dass Lonza Ihnen den Verwaltungsratssitz verweigert?

Blocher: Nein. Der Verwaltungsrat kann nichts dagegen haben, dass der grösste Aktionär im Verwaltungsrat vertreten ist. Ein gutes Management hat davor keine Angst. Dass Ems Einsitz nehmen will, ist auch kein Zeichen des Misstrauens. Beim Umfang unserer Beteiligung ist eine Kontrolle notwendig. Ob ich mich selber für diesen Verwaltungsrat zur Verfügung stelle, ist noch offen. Das Amt kann auch jemand anders übernehmen.

Marchionne hält Ihnen vor, dass Sie wegen Ihrer Tochter Ems Dottikon in einen Interessenkonflikt geraten könnten.

Blocher: Auch das höre ich zum ersten Mal. Ich war ja schon bis 2001 im Verwaltungsrat von Lonza, und die Frage allfälliger Interessenkonflikte wurde selbstverständlich damals schon geprüft.

Gab oder gibt es Absichten, Ems mit Lonza zusammenzuspannen?

Blocher: Alusuisse-Lonza fragte damals, ob man Ems nicht mit der Algroup fusionieren könne. Wir prüften das und sahen, es macht keinen Sinn. Heute besteht keine Absicht, Ems mit Lonza zusammenzulegen.

Wollen Sie mit Ihrer Beteiligung auch verhindern, dass Lonza an einen ausländischen Konkurrenten geht?

Blocher: Ich sähe es nicht gerne, wenn Lonza an einen ausländischen Konzern ginge. Das wäre für die schweizerische Chemie wohl eine Schwächung.

Haben Sie in der Auktion des Lonza-Paketes von Martin Ebner mitgeboten?

Blocher: Nein. Es war von Anfang an klar, dass die Aktien zu einem relativ hohen Preis den Besitzer wechseln würden.

Warum das?

Blocher: Wenn Dritte für die Lonza-Aktien nicht den erhofften Preis zahlen, nehmen Ebners Gläubigerbanken die Titel selber in ihre Schatullen. Das ist wie bei einem Haus mit einer Hypothek von 800 000 Franken. Wird es zwangsversteigert und niemand bietet so viel, kauft es die Bank für 800 000 Franken. Sie nimmt lieber das Haus als Verluste auf den Guthaben.

Dann glauben Sie, dass Ebners Gläubigerbanken das Lonza-Paket übernommen haben?

Blocher: Ziemlich sicher. Die Banken haben die Aktien wahrscheinlich zu 85 Franken ersteigert. Dann wurde wohl der Kurs auf 89 Franken hochgehalten. Später folgte eine Kaufempfehlung für Lonza-Aktien. Die Banken können so die Titel weiterplatzieren.

Wenn es sich so abgespielt hat, wäre das ein schlimmes Beispiel einer Interessenkollision bei den Banken.

Blocher:
Beweise gibt es nicht, aber Vermutungen. Die Banken lernen nichts. Sie sagen, wir haben eine Kreditabteilung, eine Abteilung für Kundenberatung, haben Analysten, eine separate Gruppe für Bookbuildings, alles getrennt. Aber in diesem Fall lässt sich erkennen, wie wunderbar alles ineinander läuft.

Wie geht es weiter mit Ihrer Ems-Chemie, wo Sie Ihre Nachfolge regeln müssen?

Blocher: Es geht darum, ob wir aus Ems-Chemie eine echte Publikumsgesellschaft machen wollen oder ob man die Firma von der Börse nehmen soll. Es ist ein schwieriger Entscheid, den ich bis Ende Jahr fällen muss.

Wovon hängt er ab?

Blocher:
Klar, das Going Private liegt mir näher. Zudem ist bei einer privaten Firma die Steuersituation für die Erben besser. Ich konnte die Vermögenssteuer zahlen, ohne die Firma auszubluten. Dies muss auch bei meinen Erben so sein. Aber zuallererst muss die Weiterentwicklung der Firma gewährleistet sein. Heute brauchen wir die Börse zwar nicht. Aber in fünf oder zehn Jahren, wenn wir stark expandieren, könnte sich das ändern.

Wollen Sie Ems-Chemie zusammenhalten, oder ist eine Aufsplittung denkbar?

Blocher: Als Publikumsgesellschaft ist eine Aufteilung nicht sinnvoll. Als private Firma wäre es theoretisch denkbar. Man könnte diese einzelnen Teile separat wieder an die Börse bringen. Sie sehen, alles wird geprüft.

„Die Wirtschaft braucht die Rezession als Selbstreinigungsprozess“

Man könnte auch Teile mit Lonza zusammenlegen.

Blocher: Heute sehe ich darin keinen Sinn. Aber als Unternehmer wie als Politiker halte ich mir gerne viele Varianten offen.

Kommen Ihre Kinder in Frage, um Ihre Nachfolge in der Unternehmensleitung anzutreten?

Blocher: Wir werden sehen. Meine älteste Tochter ist Vizepräsidentin des Ems-Verwaltungsrats. Sie war zuerst bei einer amerikanischen Chemiefirma, dann Verkaufschefin bei Rivella. Sie stand hinter der Kampagne „Welche Farbe hat ihr Durst?“. Sie könnte Ems operativ führen.

Und Ihre anderen Kinder?

Blocher:
Der zweite Sohn ist Chemiker und arbeitete zwei Jahre für McKinsey. Seit einem Monat ist er bei Ems als Leiter für besondere Projekte tätig. Er muss sich jetzt bewähren. Gefällts ihm und gefällts mir auch, dann können wir zusammenschaffen. Die anderen zwei Kinder sind nicht im Unternehmen. Alle vier können auch nicht in der gleichen Firma tätig sein. In der Regel gibt so etwas nur Streit.

Was ist heute wahrscheinlicher, die Variante, dass Sie aus Ems-Chemie eine echte Publikumsgesellschaft machen, oder ein Going Private?

Blocher:
Es steht immer noch 50 zu 50 Prozent. Bis Ende Dezember entscheide ich.

Sie halten an Ems-Chemie 70 Prozent vom Kapital und 85 Prozent der Stimmen. Würden Sie, wenn Sie die Variante Publikumsgesellschaft wählen, die Mehrheit abgeben?

Blocher: Wenn wir eine echte Publikumsgesellschaft werden wollen, müssen wir wohl eine Einheitsaktie einführen. Auch dann hätte ich das Stimmenmehr. Aber um den Aktienhandel liquider zu machen, müsste ich wohl auch die Mehrheit abgeben.

Ihnen wird eine gute Nase für die Konjunkturentwicklung nachgesagt …

Blocher: Im Moment werde ich wohl etwas überschätzt.

Wie wird sich die Wirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln?

Blocher: In Europa hat die Rezession erst angefangen, ich sehe es in der Autoindustrie. Amerika steckt schon seit 1998 im Tief, dort kommt bald die Wende.

Aber die USA haben damals ja noch Wachstumsraten ausgewiesen.

Blocher: Das sind gemachte Wachstumsraten gewesen. Ich glaube, beim Bruttoinlandprodukt werden Dienstleistungen ganz falsch bewertet. Auf solche Daten schaue ich weniger, ich bin am Markt und liebe einfache Parameter, zum Beispiel den Papier- oder Autoabsatz. Es gibt ein paar Indizien, die in den letzten dreissig Jahren immer zuverlässig waren.

Vor kurzem prophezeiten Ökonomen noch, es werde künftig keine Zyklen wie früher mehr geben.

Blocher:
Hoch und Tiefs sind eine Notwendigkeit. Es gibt immer wieder Rezessionen und immer aus dem gleichen Grund. In einer Hochkonjunktur ist das Angebot zu klein. Dann investieren alle, und zwar zu viel. Dann dauert es Jahre, bis die Überkapazitäten bereinigt sind.

Wie lange wird es denn dauern, bis Ems wieder investiert?

Blocher:
Ich habe nun vier Jahre wenig investiert. Immer wenn die Euphorie am grössten ist, muss man bremsen. Im Superjahr 1998 hat Ems einen Personal- und Investitionsstopp angeordnet. Jetzt fangen wir wieder an zu investieren. Dann sind wir parat, wenn es 2004, vielleicht auch erst 2005, aufwärts geht. Das ist wie bei den biblischen Zyklen, mit sieben mageren und sieben fetten Jahren.

Zyklen als eherne Notwendigkeit?

Blocher: Ja. In allen Hochkonjunkturjahren wird in den Firmen viel Mist gemacht. Der Mensch erträgt gute Jahre schlecht. Da tauchen auch die angenehmen Repräsentationsfiguren auf, die aussehen, als wenn sie den ganzen Tag am Mittelmeer lägen. Schlechte Manager, die in den Gigantismus hineininvestieren. Es wird bei den Bilanzen geschummelt. Jetzt in der Rezession wechselt man die unfähigen Manager aus. Die Wirtschaft braucht die Rezession als Selbstreinigungsprozess.

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