Die Swissair war ein Tempel, ein Gott, ein Götze

Der SVP-Nationalrat und Unternehmer Christoph Blocher über Swissair, Zukunft und Südafrika

Interview mit der Aargauer Zeitung vom 5. November 2001

Alle Fäden des Swissair-Filzes seien bei der Credit Suisse zusammengelaufen. Dies sagt SVP-Nationalrat Christoph Blocher – der sich auch Sorgen über die Wirtschaftslage macht.

Othmar von Matt und Marc Comina

Herr Blocher, reiben Sie sich im Moment still und heimlich die Hände, wenn Sie das Trauerspiel sehen, das zurzeit um Swissair/Crossair abläuft?

Christoph Blocher: Nein, ich bin zornig. Die Swissair ist durch Verfilzung und Missmanagement ruiniert worden. Und derselbe Filz macht nun auf Kosten der Steuerzahler eine überdimensionierte, halbstaatliche Airline.

Die Verwirrung ist gross. Niemand weiss, wie viel Geld fehlt. Und niemand übernimmt wirklich die Verantwortung.

Blocher: Bund und Kantone besitzen 38 Prozent an der neuen Airline. Damit ist die öffentliche Hand faktisch Eigentümerin. Das gibt ein Fass ohne Boden. Neben den SBB eine zweite defizitäre Firma, nur noch schlimmer. Der Bund kann die neue Airline nicht so schnell loswerden, der Steuerzahler bezahlt ewig. Allein die Überbrückung bis im März 2002 kostet jeden Steuerzahler 2000 Franken. So schwächt man die Schweiz.

Sie erhalten Recht mit der Warnung?

Blocher:
Ja, aber das ist nicht so wichtig. Dazu muss man zwei Dinge sagen. Erstens ist die Zahlungsunfähigkeit einer Firma immer schrecklich. Viele nehmen Schaden, es gibt nur Verlierer. In einer solchen Situation muss man klaren Kopf bewahren. Das hat hier gefehlt, darum ist der Schaden so gross.

Und zweitens?

Blocher:
Zweitens bin ich sehr enttäuscht darüber, dass die Swissair nicht seit Monaten eine ordnungsgemässe Nachlassstundung vorbereitet hat. Das ist für mich unverständlich. Ein Unternehmer kann doch nicht plötzlich an einem Sonntagabend merken, dass ihm vier Milliarden fehlen.

Mario Corti glaubt, die Swissair wäre ohne 11. September zu retten gewesen.

Blocher: Nein. Tatsache ist, dass die Swissair eine gigantische Verschuldung – 15 Milliarden – aufgebaut hat. Für die Rettung wären 6 bis 7 Milliarden à fonds perdu nötig gewesen und 11 Milliarden für die Rekapitalisierung. Das alles war vor dem 11. September. Natürlich hätte der Terrorismus eine gesunde Swissair auch getroffen. Aber nicht tödlich.

Sie kritisieren die Verfilzung…

Blocher: Die unheilvolle Verfilzung von Politik, Bund, Kantonen, Wirtschaftsverbänden, grossen Firmen und der FDP machte die Swissair zum unangreifbaren Symbol. Die Swissair war ein Tempel, ein Gott, ein Götze. Interessant ist, dass die Swissair seit April 2001 freiwillig eine Milliarde Bankschulden zurückbezahlt hat. Damit konnte die CS erklären, sie sei nur noch mit 150 Millionen im Risiko.

Kein Wunder. Lukas Mühlemann ist CEO und Verwaltungsratspräsident der CS – und war Swissair-Verwaltungsrat.

Blocher: Das zeigt die unglaublichen Verflechtungen auf: Die kreditgebenden Banken waren auch im Swissair-Verwaltungsrat. Das ist immer falsch. Die Banken haben andere Interessen als das Unternehmen. So konnte dafür gesorgt werden, dass die Banken mit einer Milliarde weniger in der Kreide stehen. Gut für die Banken, schlecht für die Swissair.

Waren das “Insidergeschäfte”?

Blocher: Die CS berief sich stets darauf, nicht Mühlemann spreche Kredite. Doch das ist weltfremd. Welcher Mitarbeiter der Bank kann einen Kredit an eine Firma unabhängig beurteilen, wenn sein Boss dort im Verwaltungsrat sitzt. Aber nicht nur die CS war im Swissair-Verwaltungsrat, auch die UBS.

Die entscheidende Rolle spielte die CS?

Blocher: Nicht alleine. Eric Honegger sass im Verwaltungsrat der UBS. Vreni Spoerri und Thomas Schmidheiny waren gleichzeitig CS-Verwaltungsräte. Andres F. Leuenberger war Präsident der économiesuisse. Das ist eine unheimliche Verfilzung.

Sie geht weiter. Rainer E. Gut, der neue starke Mann, ist Ehrenpräsident der CS.

Blocher: Nicht nur das. Rainer E. Gut sass als Bankenmann 21 Jahre im Swissair-Verwaltungsrat. In den entscheidenden Jahren war er im Ausschuss. Lukas Mühlemann folgte. Stammt wohl auch der kommende Präsident aus diesem Kreis?

Ist Mühlemann für die CS noch tragbar?

Blocher: Das müssen die Aktionäre der CS entscheiden. Da er nur noch 150 Millionen im Swissair-Schadenfall stecken hat, arbeitete er gut für die CS.

Nicht aber für die Swissair. Seine Glaubwürdigkeit hat stark gelitten.

Blocher:
Das ist genau das Problem. Mühlemann musste zwei gegensätzliche Interessen vertreten. Das geht nicht.

Die CS scheint Dreh- und Angelpunkt des Swissair-Debakels zu sein.

Blocher:
Die Fäden laufen alle dorthin. Das ist eindeutig. Die Swissair ist das Aushängeschild des Verfilzungs-Missstandes. Alles befand sich unter einem Deckel, niemand konnte mehr kritisieren, auch die Journalisten nicht. Kommt es dann zum Debakel, folgt eine Explosion: die Zahlungsunfähigkeit. Im politischen Bereich ist das nicht anders. Die Parallelen zur Sowjetunion sind eindeutig.

Das sagen ausgerechnet Sie? Schweiz gleich Sowjetunion?

Blocher:
Nein, nicht die Schweiz. Die Missstände in der Swissair gleichen jenen in der damaligen Sowjetunion: Man bindet alle Kreise ein, lässt keine Kritik zu, was schlussendlich zum Zusammenbruch führt.

Der Total-Absturz hätte für die Schweiz 50’000 Arbeitslose bedeuten können.

Blocher: Dummes Zeug. Sie haben ja schon die Ausdrucksweise der Offiziellen übernommen. Geht eine Firma zugrunde, ist das zwar furchtbar. Aber nicht alle werden arbeitslos. Bis vor kurzem war der Arbeitsmarkt ausgetrocknet. Zahlreiche Firmen waren zudem nicht zahlungsunfähig. Die flugnahen Betriebe werden von anderen Firmen weitergeführt. Und die Crossair ist überlebensfähig.

Die Folgen eines Totaldebakels waren aber auch für Sie nicht absehbar.

Blocher: Doch. Aber in diesem Fall muss das momentane Chaos beseitigt werden. Darum hat sich die SVP nicht gegen die 450 Millionen des Bundes nach dem Grounding gewehrt, um gestrandete Passagiere zu befördern und die notwendige Ordnung herzustellen.

Und was hätten Sie danach getan?

Blocher: Ich hätte darauf geachtet, dass möglichst viele gute Flugverbindungen in die ScBlocher: Ihweiz bestehen und als Staat nichts mehr bezahlt.

Das wäre nicht einfach gewesen.

Blocher: Es gibt Hunderte von Flugzeugen, welche die Schweiz gerne anfliegen würden. Vor allem heute, denn der Konkurrenzkampf ist sehr gross.

Die Bevölkerung war nach dem Grounding sehr beunruhigt. Sie befürchtete, das Modell Schweiz sei am Ende.

Blocher: Man muss der Bevölkerung die Wahrheit sagen, auch wenn sie unangenehm ist. Das hat die SVP getan. Inzwischen sind vier Wochen vergangen und die Stimmung in der Bevölkerung hat gedreht. Die Leute sehen jetzt klar.

Die Swissair ist wichtig für das Bild der Schweiz im Ausland. Geht es verloren?

Blocher: Rettet man die Swissair, rettet man weder Substanz noch Bild der Schweiz. Die Schweiz hat ein hervorragendes Renommee. Vorläufig noch.

Noch? Geht das Image verloren?

Blocher: Das beginnt schon in der Politik. Es wird zu einer Nivellierung der Schweiz führen, wenn sie in allen internationalen Organisationen mitmachen will. Die Schweiz will Grossmachtpolitik betreiben. Auch die SAir huldigte dem Grössenwahn. Sie wollte ein Global Player sein. Ein eigenartiges Wort. Ein Unternehmen ist doch kein Player. Player sind ja nicht seriös. Schweizer Unternehmen gelten als seriös. Der Flughafen Zürich sollte viertgrösster Flughafen Europas werden. Das ist nicht schweizerisch. Grösse, Masse, Billigtarife: Das ist nicht unsere Qualität.

Sie persönlich spielen aber die globalen Spielregeln sehr wohl mit.

Blocher: Die Regeln des internationalen Handels. Aber stets als Sonderfall.

Ihr Unternehmen ist kein Sonderfall.

Blocher: Doch. Im Umfeld vergleichbarer internationaler Firmen ist die Ems-Chemie ein Winzling. Warum können wir überleben? Weil wir es anders machen. Will ich gleich sein wie BASF oder General Electric, gehe ich zugrunde. Aber ich muss Holz anfassen. Als Unternehmer hat man immer auch Angst vor dem Erfolg, weil man Fehler machen kann.

Aus Ihren Worten hört man, dass schwierige Zeiten bevorstehen.

Blocher: Ausserordentlich schwierige. Es hat die Welt unglaublich verunsichert, dass – überspitzt formuliert – die Weltmacht USA durch drei private Terroristen mit drei Sackmessern in die Knie gezwungen werden kann. Was tun Unternehmen in dieser Situation? Sie stoppen, bauen Lager ab, horten das Geld. Die Wirtschaft befindet sich in einer Überlebensphase. Dies hat aber auch sehr viel Positives.

Zum Beispiel?

Blocher: In den Hochkonjunktur-Jahren warfen Leute Software-Programme auf den Markt und wurden über Nacht Millionäre. Firmen konnten alles verkaufen. Ich fragte mich oft, ob wir mit 3000 Leuten etwas falsch machen – weil wir von morgens bis abends hart arbeiten.

Die Blase ist geplatzt. Ist das ein Comeback seriöser, ehrlicher Arbeit?

Blocher: Davon bin ich überzeugt. Rezessionen sind immer Zeiten der Seriosität. Der Mensch besinnt sich wieder auf die Stärken, auf das Bewährte. Das ist gut so. Übersichtlichkeit ist wichtig. Ich habe das kürzlich an der grössten Kunststoffmesse der Welt in Düsseldorf realisiert. Sie wurde noch im letzten Jahr vorbereitet. Viele Verkäufer standen deplaziert herum. Weil die Kunden sofort spürten: Da ist Schall, Rauch, Bluff. Die Sehnsucht der Leute nach guten Produkten war mit Händen greifbar.

Wie beurteilen Sie das Swissair-Krisenmanagement des Bundesrats? Etwa von Bundespräsident Leuenberger?

Blocher: Moritz Leuenberger lebt von der Betroffenheit. Wenn Betroffenheit dominiert, gibt es keine guten Lösungen. Betroffenheit kann die Führung nicht ersetzen.

Und Kaspar Villiger?

Blocher: Ich will nicht jeden einzelnen Bundesrat beurteilen. Der Gesamtbundesrat hat den Kopf verloren – mit den Summen, die er ausgibt. Villiger weiss innerlich, dass das falsch ist.

Immerhin hat Villiger Mut bewiesen.

Blocher: Er hat dem Druck nicht standgehalten. Der Staat hat auch die Aufgabe, Nein zu all den Begehrlichkeiten zu sagen. Villiger aber hat die Schleusen geöffnet. Zudem suchte er selbst Investoren. Das ist sehr fragwürdig.

Er wollte auch von Ihnen Geld.

Blocher: Ja. Ich habe aber die Kraft, Nein zu sagen. Diese Investoren werden eines Tages die Rechnung präsentieren, indem sie auf eine Sonderbehandlung hoffen.

Welche Konsequenzen hat der 11. September für die Uno-Abstimmung?

Blocher: Den Leuten gehen die Augen auf. Die Uno ist kein harmloser Verein. Alle Staaten der Uno, inklusive Afghanistan und Saudi-Arabien, verurteilen Terrorismus. Trotzdem gibt es ihn, wird er dort gepflegt. Es zeigt sich, wie gefährlich es ist, nicht neutral zu sein. Man wird in Auseinandersetzungen hineingezogen. Die Schweiz ist natürlich auch gegen den Terrorismus. Wir müssen dafür sorgen, dass kein Terrorismus von Schweizer Boden ausgeht, und uns davor schützen. Aber wir wollen auch noch selber denken. Wären wir in der Uno, könnten wir zu Sanktionen gegen Afghanistan verpflichtet werden.

Gegenüber Terrorismus kann man aber nicht neutral sein.

Blocher: Gegenüber Terrorismus muss man auch nicht neutral sein. Terrorismus ist eine Kampfform, keine Partei, kein Staat. Der Neutralitätsbegriff spielt zwischen Staaten.

Der US-Druck auf die Schweiz könnte massiv steigen, wenn Terroristenkonten in der Schweiz gefunden werden.

Blocher: Wir dürfen keine Konten von Terroristen in der Schweiz haben. Das betrifft aber auch die UCK. Die dauernde Neutralität ist aktueller denn je.

Die Schweiz kommt nun wegen der Südafrika-Vergangenheit unter Druck. Auch Sie haben Südafrika-Beziehungen. Sie waren Präsident der Arbeitsgemeinschaft Südliches Afrika (asa).

Blocher:
Ich war ihr Mitgründer. Diese Arbeitsgemeinschaft bezog sich aber nicht auf Südafrika, sondern auf das ganze südliche Afrika. Dies war während des Kalten Krieges eine strategisch ungeheuer bedeutende Region. Wir gründeten die asa, um die Verhältnisse zu studieren. Es handelte sich um keine wirtschaftliche Organisation.

Hat die Ems Chemie in Südafrika Geschäfte gemacht?

Blocher: Nein, weil es keine Firmen gab, die unsere Produkte brauchten. Ich besuchte das Land erstmals 1987. Die asa war nicht für die Apartheid, aber der Meinung, dass das Land selbst die Apartheid abschaffen sollte. Mein spannendstes Erlebnis mit Südafrika war, als Minister Willem De Klerk – noch zur Zeit Pieter W. Bothas, der die Apartheid verteidigte – in die Schweiz kam. Der Bundesrat weigerte sich, ihn zu empfangen. Deshalb sprang ich in die Bresche. De Klerk sagte damals, er werde die Apartheid beseitigen. Als er nach Bothas Rücktritt Präsident wurde, schaffte er die Apartheid tatsächlich ab.

Sollen die Beziehungen, die Peter Regli und der Nachrichtendienst zu Südafrika hatten, untersucht werden?

Blocher: Ja natürlich. Das tut Samuel Schmid. Ein Nachrichtendienst darf nur Dinge tun, die erlaubt sind.

Braucht es eine PUK?

Blocher: Das nicht. Aber wenn das Parlament eine will, soll es eine machen.

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