Mit Soldaten spielt man nicht

Gegner und Befürworter der Militärvorlagen streiten sich über die Bewaffnung von Friedenssoldaten

Streitgespräch mit Nationalrat Ulrich Siegrist in der “Südostschweiz” vom 11. Mai 2001

Am 10. Juni wird über die Revision des Militärgesetzes abgestimmt. Es geht um die Bewaffnung von Schweizer Soldaten in Friedenseinsätzen und die Ausbildungs-Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Für SVP-Nationalrat Christoph Blocher (Zürich) gefährden die Vorlagen die Neutralität. SVP-Nationalrat Ulrich Siegrist (Aargau), Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, befürwortet sie.

Gesprächsleitung: Andreas Schmid und Gion-Duri Vincenz, Bern

Herr Blocher, Bundesrat Schmid hat Ihnen vorgeworfen, Sie lügen im Abstimmungskampf die Leute an. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?

Christoph Blocher: Nein. Ich habe es langsam satt, vom Bundesrat bei jeder Abstimmung als Lügner bezeichnet zu werden. Das tat er bei der Freigabe der 40-Tönner und beim Krankenversicherungsge-setz auch. Wer ist denn jetzt der Lügner?

Zumindest Ihre Plakate mit dem Soldatenfriedhof sind doch geschmacklos.

Blocher: Es ist ein sehr tiefsinniges Plakat. Darum sind die Befürworter ja so betroffen davon. Schauen Sie: Der Soldat ist der Einzige in unserem Land, der – leider – töten können muss. Zum Wesen gehört aber auch, dass er bereit ist zu sterben. Darum spielt man nicht mit Soldaten. Bei den Militär-vorlagen geht es letztlich darum, unsere Armee im Ausland einsetzen zu können und Nato-fähig zu machen. Damit kommen unsere Soldaten in fremde Händel und müssen dafür sterben. Und genau das zeigen unsere Plakate.

Die Generäle wollen globalisieren

Herr Siegrist, Sie haben sicher keine Freude an diesen Plakaten?

Ulrich Siegrist: Was Herr Blocher über die Nato-Unterstellung behauptet, sind interessante Pauschal-vermutungen. Aber das ist nicht das Thema am 10. Juni. Bei den Militärvorlagen geht es darum, ob Schweizer Soldaten im Ausland bewaffnet eingesetzt werden dürfen oder nicht. Damit unsere Söhne und Töchter nicht im Krieg umkommen, müssen wir dafür sorgen, dass es keinen Krieg gibt. Dafür brauchen wir Stabilität in Europa. Kriegsverhinderung und Friedenssicherung sind laut Bundesverfassung wichtige Aufgaben unserer Armee. Auf diese Weise sollen Soldatenfriedhöfe verhindert werden.

Ihre Kampagne ist viel zurückhaltender als jene der Gegner.

Siegrist: Wir haben die sachlichen Argumente auf unserer Seite. Angesichts der aktuellen Entwicklung in Krisengebieten wird es immer nötiger, dass sich Soldaten im Friedenseinsatz selbst verteidigen können. Diese Botschaft ist so klar, dass wir ruhig an die Vernunft appellieren können.

Blocher: Ihr würdet besser an die eigene Vernunft appellieren und eure internationale Blauäugigkeit langsam ablegen. Hinter den Militärvorlagen steckt der pure Internationalismus. Es sind genau die gleichen Leute, die dafür kämpfen, wie damals beim EWR oder den Blauhelmen. Es sind die gleichen, die auf Kosten unserer Neutralität am liebsten der EU beitreten würden. Hier geht es wirklich um mehr als nur um die Bewaffnung von ein paar Soldaten. Es geht darum, den Weg der bewaffneten Neutralität zu verlassen.

Herr Siegrist, wollen Sie die Neutralität aufgeben?

Siegrist: Das ist völlig abwegig. Herr Blocher will einfach von der eigentlichen Frage ablenken. Es ist typisch, wie hier ständig der EWR, die EU und die Nato bemüht werden. Alles, was nach supranatio-naler Organisation aussieht, macht natürlich Angst. Niemand will in die Nato. Und aus dieser Angst schlagen die Gegner Kapital. Dabei geht es am 10. Juni um unsere eigenen nationalen Interessen.

Blocher: Jetzt muss ich Sie aber schon bitten, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn Soldaten im Ausland für Kampfeinsätze eingesetzt werden können und gemäss neuem Gesetz mit anderen Armeen zu-sammenarbeiten sollen, verlässt man die autonome Verteidigung: Man will den Kampf im Verteidi-gungsfall ausserhalb der Schweiz führen. Es stimmt, die Militärvorlagen bewirken nicht den EU-Beitritt. Aber das Motiv ist das gleiche. Man spielt mit der Neutralität. Die Generäle wollen da draussen dabei sein, globalisieren. Aber die kleine Schweiz wird dabei überfahren.

Siegrist: Herr Blocher, wenn wir wirklich neutral bleiben wollen, dann müssen wir gut ausgebildet sein, und dazu sind wir eben auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen. Falls wir uns not-falls alleine verteidigen müssen, brauchen wir für einen guten Ausbildungsstandard die richtige Infra-struktur. Und die ist im Ausland zum Teil eben deutlich besser. Die Ausbildungszusammenarbeit ist also geradezu die Voraussetzung für eine eigenständige Verteidigung. Mit dem neuen Militärgesetz vereinfachen wir die Zusammenarbeit und bieten unseren Soldaten einen besseren Rechtsschutz.

Blocher: Die Ausbildung von Schweizer Truppen im Ausland ist heute schon möglich. Nur nicht mit anderen Armeen und nicht mit dem Ziel, mit diesen Krieg führen zu können. Das würde sich bei der Annahme der Gesetzesrevision ändern. Die Vergangenheit hat doch gezeigt, dass wir von Kriegen verschont geblieben sind, weil wir uns nicht auf militärische Kooperation eingelassen haben.

Wir können ruhig an die Vernunft appellieren

Ihr Verteidigungskonzept stammt also aus dem Zweiten Weltkrieg?

Blocher: So reden nur Modernisten. Sicher stammt mein Konzept nicht aus dem letzten Weltkrieg. Eine Armee muss sich immer neuen Bedrohungsverhältnissen anpassen. Aber der Grundsatz, dass sich die Schweiz nicht in fremde Händel einmischen darf, bleibt für alle Zeiten bestehen.

Siegrist: Die Situation im Balkan sind nicht einfach fremde Händel. Wenn dort die labile Stabilität wieder zusammenbricht, ist die Schweiz sehr direkt betroffen. Wenn wegen Massenerschiessungen, we-gen Vergewaltigungen und Menschenrechts-Verletzungen Zehntausende wieder flüchten müssen, gibt es neue Flüchtlingsströme in die Schweiz. Deshalb lohnt sich unser Beitrag an die Friedenserhaltung.

Blocher: Gegen humanitäre Hilfe hat wirklich niemand etwas. Aber wer meint, wegen gut 100 Schwei-zer Soldaten in Kosovo kämen weniger Flüchtlinge, ist doch einfach naiv.

Ist nach einem Nein am 10. Juni Schluss mit der Swisscoy in Kosovo?

Siegrist: Man sollte nie vor einer Abstimmung die Konsequenzen vorwegnehmen.

Blocher: Warum nicht? Sagen Sie doch, dass weiterhin Swisscoy-Truppen eingesetzt werden könnten.

Siegrist: Es braucht eine klare Lagebeurteilung. Wie reagieren zum Beispiel unsere Partner, wenn wir weiterhin nicht bereit sind, Bewachungsaufgaben zu übernehmen? Können wir dann weiter auf die Zusammenarbeit bei der Ausbildung zählen? So oder so ist es der Schweizerflagge nicht würdig, wenn sie von ausländischen Soldaten bewacht werden muss.

Was würde ein Nein für Sie bedeuten, Herr Blocher?

Blocher: Ich würde mich nach einem Nein dafür einsetzen, dass keine Soldaten, sondern humanitäre Detachemente nach Kosovo geschickt würden. Ein ziviles Korps mit guten Berufsleuten würde viel mehr bringen und ist billiger. Das hat unsere Partei, bei der Herr Siegrist ja zumindest noch Mitglied ist, stets gefordert. Schweizer Soldaten, bewaffnet oder unbewaffnet, sind im Ausland fehl am Platz. Denn Soldaten sind da, um im schlimmsten Fall Krieg zu führen.

Siegrist: In 90 Prozent der Fälle reichen die humanitären Organisationen. Aber dort, wo es nötig ist, braucht es militärische Unterstützung. Und die dürfen wir nicht einfach den anderen Ländern überlas-sen. Soldaten sind da, um die Sicherheit zu erhöhen, bevor Kriege entstehen.

Ihre Prognose für den 10. Juni?

Blocher: Ich glaube, es wird uns gelingen, dass das Schweizervolk die Militärvorlagen ablehnt und sich zur Neutralität bekennt.

Siegrist: Weil es um die eigene Stärke und nicht um den Anschluss an irgendein Bündnis geht, wird das Schweizervolk Ja sagen.

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